Virtual Reality: Besser als das echte Leben?

24.04.2020 von Oliver Gewald in Kategorie : Blog
  • Kann Virtual Reality einen Ausflug in die Natur ersetzen? Dieser Frage geht Kai Israel in seiner Studie an der Hochschule Offenburg nach. Im Interview verrät er, was der Nationalpark damit zu tun hat und warum eine VR-Brille tatsächlich für Entspannung sorgen kann

     

    Herr Israel, in Ihrer Studie wurden Probanden mit einer VR-Brille virtuell in den Schwarzwald geschickt. Warum haben Sie dazu den Nationalpark ausgewählt?

    Ich bin im Achtertal aufgewachsen und wohne in Seebach. Der Nationalpark ist für mich eine Oase der Erholung – und in der Studie geht es darum, einen richtigen Naturausflug abzubilden. Der genaue Ort war dabei allerdings gar nicht so wichtig: Selbst Probanden aus Seebach oder Ottenhöfen, beides ja direkte Anrainergemeinden des Nationalparks, wussten zum Teil gar nicht, an welchem Ort sie sich während der virtuellen Tour tatsächlich befinden. Es war einfach nur ein schöner Naturrundgang im Schwarzwald, den man sehen konnte.

     

    Was haben Sie dabei genau untersucht?

    Ich untersuche, ob VR – also Virtual Reality – eine reale Erfahrung ersetzen kann. Die Probanden waren deshalb entweder im Nationalpark Schwarzwald unterwegs oder im Cirque du Soleil zu Gast. Gleichzeitig habe ich im Vorfeld einige Faktoren erhoben, die das Ergebnis beeinflussen: Ob VR ein echtes Erlebnis ersetzen kann, hängt unter anderem von der eigenen Motivation ab, einen Naturausflug zu machen oder eine Unterhaltungsshow anzuschauen. Auch die eigene Erwartungshaltung an das Erlebnis beeinflusst das Ergebnis.

     

    Wie kann ich mir das vorstellen – wie lief der Versuch ab?

    Die Studie bestand aus drei Phasen. Zunächst haben die Probanden einen Fragebogen ausgefüllt. In diesem habe ich erfragt, wie häufig sie in den letzten zwölf Monaten einen Ausflug in die Natur unternommen haben. Dadurch konnte ich feststellen, wie groß die intrinsische Motivation, also der eigene Antrieb ist, in die Natur zu gehen. Natürlich wurden ebenfalls auch andere Daten wie Alter, Geschlecht oder ähnliches erhoben. Am Ende des Fragebogens stand folgendes Szenario: Ein befreundetes Pärchen erzählt dir von einem Ausflug in die Natur, bei dem sie einen wunderschönen Aussichtspunkt entdeckt haben. Leider ist der Wanderweg nur noch wenige Wochen begehbar, da er danach dauerhaft gesperrt wird.  Noch am gleichen Abend entdeckst du zuhause eine Webseite, die einen interaktiven Rundgang auf diesem Wanderweg mithilfe einer VR-App möglich macht. Der zweite Teil der Studie fand dann in einem Labor an der Hochschule Offenburg statt: Hier wurde den Probanden die Brille aufgesetzt und sie hatten zehn Minuten Zeit, sich selbst einen virtuellen Eindruck von dem schönen Wanderweg im Schwarzwald zu machen. In der letzten Phase wurde erfragt, wie zufrieden die Probanden mit dem Erlebnis waren und ob für sie die VR-Erfahrung einen Ausflug in die Natur ersetzen könnte.

    Und – kann VR einen wirklichen Besuch im Nationalpark in Zukunft ersetzen?

    Da sage ich mal, ganz wissenschaftlich: Es kommt darauf an. Tendenziell kann es einen Ausflug nicht ersetzen, weil es sich dabei um ein immersives Erlebnis handelt. Das bedeutet, dass ich wirklich mit allen Sinnen in die fiktive Welt eintauchen müsste und auch Geruch, Geräusche und Berührungsreize stimmen müssten. Außerdem bin ich bei dieser Art Erlebnis die Schlüsselkomponente und quasi der Regisseur – ich bestimme, was ich sehen, fühlen und riechen möchte. Wenn es aber um eine Führung oder einfach einen schönen Ausblick geht, bei denen ich – wie in der Realität – eher eine externe Betrachterperspektive einnehme, dann sind diese Erlebnisse eher durch VR ersetzbar. Aber: Man kann das nicht pauschalisieren. Es kommt immer darauf an, aus welcher Motivation man den Ausflug macht und welche Erwartungen man hat. Menschen, die gerne wandern und in die Natur gehen, werden das VR-Erlebnis nicht als vollwertigen Ersatz empfinden können. Wenn ich lediglich einen schönen Ausblick genießen oder mir ansehen möchte, dann schon eher.

     

    Gehen wir mal zehn Jahre in die Zukunft: Wird VR irgendwann jedes reale Erlebnis ersetzen können?

    Tendenziell ja, aber auch hier gilt: Es kommt auf das Erlebnis an. Ein passionierter Museumsbesucher wird die Mona Lisa immer persönlich betrachten wollen, statt sie nur in der virtuellen Realität zu sehen. Allerdings bietet VR auch viele Chancen. Beim Thema Zugänglichkeit beispielsweise könnte VR helfen: So könnten Personengruppen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, zum Beispiel den Lotharpfad erleben, wozu sie bisher keine Chance hatten. Genauso könnten mit VR-Brillen Rangerführungen angeboten und tatsächlich hautnah Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum gezeigt werden, die im Nationalpark heimisch sind. Mit dieser Technologie kann man auch Menschen in den entferntesten Ländern den Nationalpark Schwarzwald nahebringen. Wenn jemand in Sao Paolo mal wissen möchte, wie es im Nationalpark Schwarzwald eigentlich aussieht, dann kann ich ihm das mit Hilfe der virtuellen Realität zeigen. Mit VR werden Dinge wirklich erlebbar. Deshalb sollte es jeder einmal selbst ausprobieren, um sich einen Eindruck davon zu verschaffen. Erst dann versteht man, wozu diese Technik überhaupt im Stande ist.

     

    Eine Studie besagt, ein Besuch in der Wildnis beruhige den Menschen. Ist das auch der Fall, wenn ich mich nur in einer Simulation bewege?

    Definitiv! Ich würde das sogar eins zu eins gleichsetzen. Es braucht ein paar Minuten, bis man sich auf das virtuelle Erlebnis einlässt und somit die reale Umgebung um einen herum vergisst. Sobald das der Fall ist, entsteht sofort ein Gefühl der Entspannung. In einem anderen virtuellen Erlebnis habe ich einen realen Spaziergang an einem Strand in Portugal abgebildet. Es dauerte keine 30 Sekunden und es entstand Urlaubsfeeling. Viele Probanden hatten beispielsweise nach ihrem virtuellen Ausflug im Wald tatsächlich das Gefühl, kurz an der frischen Luft gewesen zu sein.

     

    Mehr über die Studie erfahren Sie auf dieser Webseite.

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    Zur Person

    Oliver Gewald

    Bloggt im Auftrag von Kresse & Discher für den Nationalpark Schwarzwald.


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