Der Gartenschläfer: Schlafmaus am Tag – Zorro in der Nacht

08.01.2021 von Sandy Schoch in Kategorie : Blog
  • Wenn die Sonne hinter den Wipfeln der Fichten versinkt und die Dämmerung anbricht, beginnt sein Tag: Zorro, der Gartenschläfer. Der Schwarzwald zählt zu seinen Hauptverbreitungsgebieten. Den Spitznamen verdankt er dem schwarzen Fell um die Augen, wie ich im Gespräch mit Esther del Val Alfaro, Diplom Biologin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Nationalpark Schwarzwald, lernen durfte. Um mehr über das kleine Mäuschen mit den großen Knopfaugen zu erfahren, habe ich mich auf Spurensuche begeben – gar nicht so einfach.

    Wer hofft, diesem süßen Knirps während einer Wanderung zu begegnen, hat schlechte Karten. Tagsüber hält sich der nachtaktive Gartenschläfer in kugelförmigen Nestern versteckt. Bestehend aus Moos, Gras, Laub, Federn und Haaren bieten sie den perfekten Unterschlupf, um sicher und ungestört den Tag zu verschlafen.

    Dass die Familie der Bilche, zu der der Gartenschläfer zählt, auch Schlafmäuse genannt werden, ergibt also irgendwie Sinn. Am wohlsten fühlen sie sich dabei in fichtendominierten Wäldern. Jedoch kommen sie auch in Streuobstwiesen oder Weinbergen vor. Wenn die Nacht über den Nationalpark Schwarzwald hereinbricht, wird deutlich: Auch hier ist der Gartenschläfer zuhause. Zu sehen ist er zwar nicht. Aber man hört ihn. Sei es auf Partnersuche oder beim Kampf um ein Revier.

    „Gartenschläfer sind sehr kommunikationsfreudig. Ihre Kommunikation reicht von leisem Murmeln und Knarren über Grunzen und Knurren, bis hin zu pfeifenden Geräuschen.“ Das hat Esther del Val Alfaro schon live erlebt. Denn manchmal macht es sich der Gartenschläfer in Vogel-Brutkästen gemütlich. „Ab und zu, wenn wir einen Nistkasten öffnen, ertönt eine Art Surren, ähnlich dem Lauf einer alten Nähmaschine. Gleich darauf zeigt sich die weißliche Unterseite des Kopfes eines oder manchmal auch mehrerer aufgeregter Gartenschläfer“, erzählt Esther del Val Alfaro schmunzelnd.

    Zwei Stunden ohne Atemzug

    Die Hälfte des Jahres verbringt der Gartenschläfer mit der Tätigkeit, die er im Namen trägt: schlafen. Im Oktober ziehen sich die Tiere in ihren Unterschlupf zurück. Beliebte Pensionen sind Felsspalten und Baumhöhlen. Bis zum Frühjahr macht er seinem Namen alle Ehre, denn er hält Winterschlaf. Nicht nur über den Winter. Sondern bis April. Starke Leistung. Durch einen reduzierten Stoffwechsel und eine zeitweise fast bis zum Gefrierpunkt abgesenkte Körpertemperatur können dabei Atempausen von bis zu zwei Stunden entstehen. Wirklich atemberaubend, diese Vorstellung.

    Da er während des gesamten Winterschlafs keine Nahrung zu sich nimmt, muss sich der Gartenschläfer im Sommer und Herbst ausreichend Reserven anfressen, um bis April durchzuhalten. In dieser Massephase kann er sein Körpergewicht gut und gerne verdoppeln. Für die notwendigen Fettreserven macht er sich über nahezu alles her, was er findet: Früchte, Vogeleier, Beeren, Samen und Knospen stehen auf dem Menü. Zu seinen Leibspeisen zählen jedoch tierische Snacks wie Insekten, Spinnen, Schnecken und auch kleine Wirbeltiere.

    In der Karawane auf Entdeckungstour

    Wenn die Frühlingssonne wärmere Temperaturen bringt, erwachen zuerst die Männchen aus ihrem Dornröschenschlaf. Die Weibchen folgen kurze Zeit später.
    Kaum ist er wieder munter, beginnt für den Gartenschläfer auch schon die Paarungszeit. Aktiv werden dabei zunächst die Damen, die mittels auffällig lauter Pfeifgeräusche ihre Bereitschaft zur Fortpflanzung signalisieren. Verrückte Tierwelt.

    Bereits nach drei Wochen erblickt der Nachwuchs, meist vier bis sechs Jungtiere, das Licht der Welt. Rund einen Monat werden sie von der Mutter gesäugt, die bei der Aufzucht auf sich allein gestellt ist. Doch schon bald werden die Kleinen flügge – und verlassen für erste Erkundungstouren das sichere Nest. Um dabei nicht die Orientierung zu verlieren bilden sie häufig Karawanen. Mit Mama an der Spitze, beißen sich die Jungen im Rückenfell ihrer Geschwister fest. So entsteht eine kleine Gartenschläfer-Kolonne – süße Vorstellung, nicht?

    Die Schlafmaus kann auch ungemütlich werden

    Mein erster Gedanke beim Blick auf das Titelbild dieses Beitrags? Ich will einen Gartenschläfer! Denn ganz ehrlich: Wer kann diesen Knopfaugen schon widerstehen? Doch ist die kleine Schlafmaus kein Kuscheltier. Gegen ihre natürlichen Feinde, zum Beispiel Käuze, Marder und Füchse, weiß sie sich nämlich zu helfen. Gartenschläfer wehren sich mit Bissen und können ihren Angreifern durch weite Sprünge entkommen (bei ca. 10 cm Körpergröße kaum zu glauben, aber wahr). Zudem schützt sie die sogenannte Schwanzautotomie vor Fressfeinden. Die Biologin erklärt: „Der Schwanz hat mehrere eingebaute Sollbruchstellen in der Haut. Wird ein Bilch von einem Fressfeind am Schwanz gepackt, reißt die Haut ab. Der Angreifer wird abgelenkt und der Gartenschläfer gewinnt Zeit, um zu entkommen.“ Ein biologisch ausgeklügeltes Konzept: Der verkürzte Schwanz wird anschließend eigenständig vom Tier abgenagt, ehe er wieder mitsamt Haut und Haaren nachwächst.

    Eine besondere Superkraft scheint der Gartenschläfer auch gegenüber Vipern zu besitzen. Durch eine bisher ungeklärte Resistenz gegen das Gift der Tiere, kann ihm der Biss, der in seinem Lebensraum vorkommenden Kreuzotter, nichts anhaben. Irgendwie magisch.

    Sinkende Populationen stellen Experten vor ein Rätsel

    Einst war der Gartenschläfer in weiten Teilen Europas heimisch. Mittlerweile hat sich seine Verbreitung derart reduziert, dass er in vielen Gebieten sogar als ausgestorben gilt. Bis heute können die Gründe für diesen Rückgang nicht eindeutig bestimmt werden. „Als mögliche Ursachen werden Veränderungen des Lebensraums, der Klimawandel und der Verlust von wichtigen Ressourcen, wie z.B. Nahrung und Baumhöhlen angenommen“, so del Val Alfaro. „Auch das Auftreten von Krankheitserregern oder Parasiten könnte für den Rückgang der Art mitverantwortlich sein.“

    Um den Bestand der Tiere zu erhalten, wurden bereits diverse Schutzmaßnahmen eingeführt. Mit dem Projekt „Spurensuche Gartenschläfer“ setzt sich der Bund für Umwelt und Naturschutz mit weiteren Unterstützern für den Erhalt des Tieres in Deutschland ein. Hoffentlich erfolgreich, damit auch in Zukunft noch kleine Schlafmaus-Karawanen auf Entdeckungstour im Nationalpark Schwarzwald gehen können.

    Steckbrief Gartenschläfer

    • Wissenschaftlicher Name: Eliomys quercinus
    • Körperlänge: 10–17 cm
    • Gewicht: 60–80 g (im Winter bis über 130 g)
    • Aussehen: große Augen, hervorstehende Ohren und lange Schnurrhaare, braun-graues Rückenfell mit weißen Flanken und behaartem Schwanz
    • Typisches Merkmal: „Zorro-Maske“, schwarzes Band über den Augen bis hinter die Ohren
    • Lebenserwartung: drei bis vier Jahre

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    Zur Person

    Sandy Schoch

    Bloggt im Auftrag von Kresse & Discher für den Nationalpark Schwarzwald.


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