Herausforderungen von morgen erkennen?

29.08.2022 von Dr. Susanne Berzborn, Dr. Kerstin Botsch in Kategorie : Nationalparkforschung
  • Worüber forschen wir, welcher Frage gehen wir nach?

    Wir forschen über den Wandel von Naturverständnis am Beispiel des Nordschwarzwaldes in der Spätmoderne, also der Gegenwart. Aus kultur- und geisteswissenschaftlicher Literatur wissen wir schon lange, dass sich das menschliche Verständnis der Natur in der Vergangenheit immer wieder gewandelt hat. Im europäischen Raum wären hier beispielsweise die Veränderungen des Naturverständnisses vom Mittelalter über Zeiten der Aufklärung bis hin zum Naturverständnis der Romantik zu erwähnen.

    Was Menschen über Natur denken, hat also immer auch etwas damit zu tun, wie Menschen sich und ihre Umwelt wahrnehmen, welches Selbstbild sie haben. In unserer heutigen Zeit sehen wir häufig, dass die Menschen Natur als etwas betrachten, was der Kultur gegenübersteht. Das war aber nicht immer und überall so.

    Wir interessieren uns dafür, wie angesichts von Naturzerstörung (mit Folgen wie Klimawandel und Biodiversitätsverlust) ein nachhaltiger Umgang mit Natur möglich sein kann. Um diese Frage zu beantworten, haben wir uns zunächst damit beschäftigt, was Natur den Menschen im Schwarzwald bedeutet.

    Was ist besonders an unserem Projekt?

    Wir vergleichen Analyseergebnisse zweier verschiedene Gesprächsdaten miteinander. Diese in Gruppen zusammengefassten Gesprächsdaten nennt man auch (Gesprächs-)Korpus. Wir sind bei unserer Untersuchung so vorgegangen, dass wir das eine Gesprächskorpus (mit 21 langen, biografischen Interviews aus dem Projekt 'Alltagsgedächtnis - Naturwahrnehmung und Regionalgeschichte') und das andere Gesprächskorpus (mit 51 kürzeren Interviews) auf unsere Fragestellung hin untersucht und dann die Aussagen der beiden Gesprächskorpora miteinander verglichen haben.

    Das Interessante für uns ist, dass die Korpora unterschiedliche Generationen repräsentieren (Korpus 1: mittleres Geburtsjahr: 1940; Korpus 2: mittleres Geburtsjahr: 1963), sich die Erzählungen der Interviewten aber in beiden Fällen auf den Nordschwarzwald und das Leben hier beziehen. Wir haben die Interviewtexte mit verschiedenen methodischen Werkzeugen sozusagen durchgesiebt und Fragen an den Text gestellt. Zum Beispiel: Wie wird Natur wahrgenommen oder beschrieben? Welche Werte sind mit Natur verknüpft? Wie reiht sich der Mensch selbst darin ein?

    Die Analyse ist ein langwieriger und schwieriger Prozess, bei dem wir teilweise Unterstützung durch unser Kooperationsprojekt 'Waldwelten' mit der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Freiburg hatten.

    Wir haben herausgefunden, dass sich die beiden Gesprächskorpora hinsichtlich des Naturverständnisses unterscheiden. In dem Gesprächskorpus der jüngeren Generation liegt ein anderes Naturverständnis und andere, mit Natur verbundene Werte vor als in dem der Nachkriegszeit.

    Unsere Ergebnisse legen also nahe, zusammen mit aktueller soziologischer Literatur, dass hier ein Trend hin zu einem generellen Wandlungsprozess des Naturverständnisses vorliegt. Den können wir am Beispiel Nordschwarzwald bereits bedingt zeigen.

    Wer profitiert von unserem Projekt?

    Von unserem Projekt profitieren alle Menschen, die sich für eine sozial-ökologische Transformation engagieren, sei es wissenschaftlich, politisch oder praktisch auf der Ebene der Akteure. Wer Wandlungsprozesse aufmerksam verfolgt, kann eine Antennenfunktion wahrnehmen, indem mögliche Herausforderungen und Probleme von morgen erkannt werden. Wir haben bei unserer Untersuchung unterschiedliche Sichtweisen auf Natur und damit verbundene Werte herausgearbeitet. Wir würden uns freuen, wenn die Forschung hierzu vertieft werden könnte, um zu zeigen, dass wir es hier mit einem generellen Trend zu tun haben. Ein nachhaltiger Umgang mit Natur (und damit umgekehrt das Aufhalten der Klimakrise und das Aufhalten des Biodiversitätsverlustes) ist ohne Verständnis darüber, wie Menschen Natur momentan wahrnehmen, nicht zu bewältigen.

     

    Wie bringt das Projekt die Wissenschaft voran?

    Das Naturverständnis ist nicht immer gleich, auch wenn es uns aufgeklärten Menschen der Spätmoderne als konstant erscheint. Menschliche Vorstellungen von etwas sind – wie die Gesellschaft und die Kultur insgesamt – Teil eines stetigen Wandlungsprozesses. Sieht man die Natur beispielsweise als Gegenpart oder als Teil von sich selbst? Das Wissen darüber, was Natur den Menschen aktuell bedeutet, wie Natur in welchen Gruppen und Milieus wahrgenommen wird, sagt auch etwas darüber aus, wie Menschen sich selbst sehen.

    Wir erhoffen uns, dass unsere Ergebnisse einen kleinen Beitrag zu einer Problemlösung beitragen können: wie können wir als Menschen Nachhaltigkeitsbestrebungen politisch, wissenschaftlich, als Gesellschaft anpacken? Welche Lösungen sind für uns sinnhaft und haben somit die Chance, auch Veränderungen hin zu einer sozial-ökologischen Transformation herbeizuführen?

     

    Botsch, Kerstin und Susanne Berzborn (2022) Vom Wandel des Naturverständnisses. Natur, Werte und Arbeit im Nordschwarzwald. in: Barth, Thomas/ Jaeger-Erben, Melanie/ Jochum, Georg/ Lorenz, Stephan (Hrsg.) Nachhaltige Werte schaffen!? Arbeit und Technik in der sozial-ökologischen Transformation. Reihe „Arbeitsgesellschaft im Wandel“, Weinheim: Beltz/Juventa

    Buch Wälderstimmen aus dem Projekt "Alltagsgedächtnis"

     

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    Zur Person

    Dr. Susanne Berzborn

    Soziokulturelles Monitoring, Wahrnehmungen und Akzeptanz

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    susanne.berzborn@nlp.bwl.de

    Dr. Kerstin Botsch

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