Uralte Überlebenskünstler

09.10.2024 von Iris Lemanczyk in Kategorie : Blog
  • Schöner Runzelbruder (Rhytidiadelphus loreus), Frauenhaarmoos, Rotstängelmoos, Schlafmoos…. Mit Dr. Torsten Bernauer bin ich im Nationalpark unterwegs, wir schauen auf eine grüne Paradieslandschaft in Miniaturausgabe. Ein Moospolster. „Hier sehe ich schon zehn verschiedene Moose“, sagt Torsten, Biologe und Moosspezialist und legt los. „Moose sind Sporenpflanzen. Es gibt drei Hauptgruppen: Laubmoose, Lebermose und Hornmoose.“ Lateinische Namen fallen oder griechische, sie kommen ihm leicht über die Lippen, meist leichter, als die deutschen Übersetzungen.

     

    Moos kommt wieder

    Moos ist für viele Menschen lästig – im Rasen, auf Dächern oder zwischen Bodenplatten. Torsten zeigt etwas Verständnis, plädiert aber dafür, wenn Moos entfernt wird, dann wenigstens nicht mit der Chemiekeule, der Schrubber reicht aus. Und er grinst, denn „Moos kommt wieder.“

     

    Moos kann so Vieles

    „Moos ist total wichtig. Es speichert viel Wasser, dadurch bleibt der Boden länger feucht. Und durch die Verdunstung kühlt die Umgebung ab. Moos filtert Staub wie keine andere Pflanze, kann Schadstoffe aus der Luft binden. Verschiedene Moosarten sind Zeiger für unterschiedliche Standtortbedingungen. Sie können als Indikatoren für Wasser- und Luftverschmutzung und bei radioaktiver Belastung verwendet werden. Moos ist auch Nistmaterial für Vögel. Und die Moospolster bieten Lebensraum und Rückzugsort für viele kleine Tiere, Käfer etwa, Bärtierchen oder die winzigen Springschwänze.“

     

    Die älteste Landpflanze

    Wir stehen immer noch bei dem Moospolster in verschiedensten Grüntönen. Torsten zupft ein Moos ums andere heraus, nimmt die Lupe, bestimmt und beschreibt es. „Moos ist die älteste Landpflanze. Es ist vor ungefähr 300 bis 350 Millionen Jahren aus Algen entstanden. Blütenpflanzen entwickelten sich erst etwa 100 Millionen Jahre später.“

     

    Im Nationalpark wurden bisher 380 verschiedene Moosarten gefunden, als der 42-Jährige Moosexperte 2016 im Nationalpark begann, waren es 315 Moosarten. In Baden-Württemberg gibt es 675, in ganz Deutschland circa 1300 verschiedene Moose.

     

    Die Traumstelle

    Wir gehen nur ein paar Meter weiter zu einer mit Moos überwachsenen Fichte. Unterdessen erzählt Torsten Bernauer, dass er in Plauen, im sächsischen Vogtland aufgewachsen ist. Schon im Kinderwagen haben ihn die Eltern mit in die Natur genommen und bald schon zum Pilze und Heilkräuter Sammeln. Die Liebe zur Natur ist geblieben, erst interessierte er sich für Vogelstimmen und Pilze, dann studierte er Biologie in Kassel. Und brauchte Geld. Darum nahm er verschiedene Kartierjobs an, sprich, mal trug er die Standorte von Pflanzen, mal von Vögeln, Flechten und auch mal von Moose in Karten ein.  Nach seiner Doktorarbeit arbeitete er im Naturkundemuseum in Karlsruhe, bevor er seine Traumstelle – „ist es immer noch“ – im Nationalpark fand.

    Moose zu bestimmen ist aufwändig, denn sie sind klein, manchmal winzig. Mit der Nase fast am Boden schaut Torsten durch die Lupe. In den Sommermonaten ist er fast immer im Nationalpark unterwegs. Denn seine Hauptaufgabe ist das Monitoring, also die Bestandsaufnahme, welche Moose es gibt. Die Daten werden später in Datenbanken eingepflegt. Kleine Moosstücke kommen für wissenschaftliche Zwecke in Hebarien, also in eine Sammlung konservierter Pflanzen.

    „Weil ich so nah am Boden arbeite, sehe ich neben Pflanzen, auch Insekten, Amphibien Kot von Tieren. Die Beobachtungen gebe ich dann weiter an die jeweiligen Spezialisten.“ Wir gehen Richtung Grinden, drei Rehe springen über den Weg. Auch dies meldet Torsten sofort über eine App.

     

    Kissenfüllung und Toilettenpapier

    „Hier ist Schlafmoos.“ Torsten bleibt stehen. „Das haben Bauern früher getrocknet und dann in ihre Kissen gestopft.  Torfmoos wurde im Ersten Weltkrieg zur Wundheilung eingesetzt. Moos diente auch als Verpackungsmaterial und als Toilettenpapier.“

    Moose haben keine Wurzeln und kein Stabilisierungsgewebe, deshalb werden sie nicht groß, ein Millimeter bis zu 20 Zentimetern – in Ausnahmefällen schaffen sie eine Höhe von 50 Zentimetern. Dafür sind sie Überlebenskünstler. Sie haben sich in all der Zeit in der Natur behauptet, halten extreme Trockenheit genauso aus wie Kälte.

    Nach zwei Stunden kann Torsten Bernauer immer noch von und über Moose erzählen und schwärmen. „Können wir nicht zwei Blogeinträge machen?“, schlägt er lachend vor. Wenn jemand für Moose brennt, dann Torsten Bernauer.

    2 Kommentare

    10.10.2024 um 16:55 Uhr von Kathrin:

    Sehr spannend
    Wieder ein toller und sehr lehrreicher Bericht, vielen Dank! Werde beim nächsten Waldspaziergang ganz genau hinschauen.
    Antworten

    10.10.2024 um 17:47 Uhr von Isa W.:

    Gerne mehr
    Gerne mehr, denn die Moose sind wirklich eine spannende Pflanzengruppe, die wir viel zu wenig wahrnehmen. Schön geschrieben, vielen Dank!
    Antworten

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    Iris Lemanczyk

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