Eine Spur wilder: Wie der Nationalpark (fast) jagdfrei werden möchte

07.10.2021 von Oliver Gewald in Kategorie : Blog
  • Anwohner schützen und trotzdem den Wald in die Hand der Tiere geben – ein schmaler Grat, den das Wildtiermanagement im Nationalpark Schwarzwald gehen muss. Nationalpark-Blogger Oliver hat sich mit dem Leiter der Abteilung, Friedrich Burghardt, getroffen.

    Es ist helllichter Tag im Nationalpark Schwarzwald. Mit vorsichtigen Schritten stolziert ein ausgewachsener Rothirsch über eine Schneise im Wald, die früher als Wanderweg genutzt wurde. Langsam aber sicher hat die Natur hier wieder die Oberhand gewonnen – mit großen Sträuchern und tiefen Schlammpfützen. Aufmerksam blickt der Hirsch nach links und rechts. Die Luft ist rein. Er stürzt sich kopfüber in den Schlamm, wälzt sich und wühlt mit dem Geweih im Boden.

    Das live zu erleben, ist quasi unmöglich. Das weiß ich nicht erst seit meinem Exkurs im Spurenlesen mit dem Experten Peter Sürth (Link). Selbst als Dorfkind aus dem Schwarzwald bin ich nur wenige Male einem Wildschwein, einem Reh oder einem anderen Waldbewohner von Angesicht zu Angesicht begegnet. Ein Glück, dass Naturschauspiele wie das Suhlen eines Hirsches in einer Pfütze trotzdem festgehalten werden – von den Wildtierkameras im Nationalpark Schwarzwald.

    Grundlage für Wildtiermanagement: valide Daten

    Diese kleinen Beobachter verstecken sich mancherorts in den Büschen und Sträuchern im Wald – und zwar auf den Wegen, die für Besucherinnen und Besucher nicht zugänglich sind. So wird verhindert, dass die Kameras auch Wanderer oder Radfahrer aufzeichnen. Bewegt sich etwas vor der Linse, springt die Aufnahme an. Doch was geschieht mit diesen Bildern?

    „Die Grundlage für gelungenes Wildtiermanagement sind valide, wissenschaftliche Daten“, erklärt Friedrich Burghardt. Der 63-Jährige ist studierter Wildbiologe – und für das Wildtiermanagement im Nationalpark zuständig. Zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen sorgt er im Fachbereich 5 dafür, dass in einigen Jahren auf bis zu 75 Prozent der Fläche des Nationalparks nicht mehr gejagt werden darf – oder vielmehr muss. Dazu benötigt er unter anderem die Daten und Zahlen aus dem so genannten Fotofallenmonitoring. Doch dazu später mehr.

    Jagen schützt vor allem die Anwohner

    „Das Jagen ist eine Form der nachhaltigen Nutzung“, erklärt Friedrich Burghardt. „Und das hat in einem Nationalpark eigentlich nichts verloren.“ Denn in einem Nationalpark gilt die Maxime: Natur Natur sein lassen, also gar nicht mehr eingreifen. Gänzlich auf das Wildtiermanagement verzichten könne man trotzdem nicht – zum Schutze der Anwohner rund um das Naturschutzgebiet. „Gerade den Privatwaldbesitzern liegt das sehr am Herzen. Der Hirsch zieht mit seinen Zähnen gerne die Rinde der Bäume ab. Das kann extreme finanzielle Folgen haben.“ Die Hauptaufgabe seines Jobs sei daher der Austausch mit der Bevölkerung in den anliegenden Gemeinden.

    „Es ist wichtig, Verständnis zu haben. Viele der Waldbesitzer haben noch die Zeiten erlebt, in denen es hier sehr viele Hirsche gab“, berichtet der Wildbiologe. „Wir müssen einfach Verständnis für das schaffen, was wir im Nationalpark tun.“

    Beobachten statt jagen: Der Wald gehört den Tieren

    Aus diesem Grund ist bislang auch erst ein Drittel des Nationalparks komplett jagdfrei, erklärt Friedrich Burghardt. Man müsse die Anwohner langsam darauf vorbereiten, so sagt er. Wenn es nach ihm ginge, wäre die Fläche bereits viel größer. 75% statt der jetzigen 25% sollten es sein. „Die Schweizer sind da rigoros: keine Axt, kein Schuss. Da wollen wir auch hin.“ Spätestens in zehn Jahren soll das nach jetzigem Stand erreicht werden.

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    Statt zu jagen, möchten Friedrich Burghardt und sein Team stärker in die Beobachterrolle schlüpfen. Das sei schließlich auch die ureigene Kernaufgabe des Nationalparks. Dabei unterstützt ihn sein Kollege Raffael Kratzer, der sich hauptsächlich um das Monitoring kümmert: „Neben den Fotofallen statten wir die Tiere mit Sendern aus und nehmen Kot- und Gewebeproben“, erklärt er. „Diese Daten analysieren wir. Damit können wir extrem viel über die Tiere herausfinden.“

    Der Mensch als Störfaktor

    Unter anderem haben die Forscher mithilfe dieser Daten herausgefunden, ob und wie sich ein Hirsch oder ein Wildschwein von der Präsenz des Menschen im Nationalpark stören lässt. Kotproben wurden auf Stresshormone untersucht. Das Ergebnis: In einer Distanz von bis zu 100 Metern in der Nähe eines offiziellen Wanderweges ließ sich ein hohes Stresslevel nachweisen. Erst ab einer Distanz von mehreren hundert Metern wurden keine Spuren mehr im Kot gefunden. „Überträgt man das also auf die Karte des Nationalparks sieht man, dass dieser Abstand zum Besucherverkehr lediglich in zwei größeren, zusammenhängenden Gebieten möglich ist – im Bereich Wilder See und im Bereich des hohen Ochsenkopfs“, so Kratzer.

    Ein weiteres Problem: Der Mensch löst in den Tieren eine größere Stressreaktion aus, solange noch gejagt wird. „Sie sind extrem klug. Jagen wir, wird der Mensch als Bedrohung abgespeichert. Trifft ein Tier also auf einen Wanderer, weiß es nicht, ob dieser nun gleich das Gewehr zückt oder nicht“, erklärt Friedrich Burghardt. Abhilfe würde eine größere, beruhigte und vor allem jagdfreie Fläche schaffen. „Wenn man den Tieren auch wirklich die Ruhe gibt und den richtigen Lebensraum für sie schafft, nutzen sie diesen auch“, so Kratzer. Für seinen Kollegen Friedrich Burghardt liegt die Lösung auf der Hand: „75% der Fläche lassen wir in Ruhe, auf dem Rest betreiben wir aktives Wildtiermanagement zum Schutz der Anwohner.“ Dann stünden die Chancen für Besucherinnen und Besucher gut, das eine oder andere Tier im Nationalpark zu entdecken – und wenn auch nur aus der Ferne. Und bis es soweit ist, gibt es zumindest weiterhin die beeindruckenden Aufnahmen der Wildtierkameras.

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    Zur Person

    Oliver Gewald

    Bloggt im Auftrag von Kresse & Discher für den Nationalpark Schwarzwald.


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