Methoden der gemeinsamen Wildtierforschung in deutschen Nationalparken
Warum ist ein Monitoring von Schalenwild und Wildwirkung in den deutschen Nationalparken notwendig? Natur darf doch Natur sein, oder etwa nicht?
Selbstverständlich sind Wildtiere Teil der natürlichen biologischen Vielfalt, die in Nationalparken geschützt wird. Wie sich die Populationen ohne menschliches Eingreifen entwickeln, ist aber von großem Interesse und wird deswegen genau beobachtet.
Rothirsche, Rehe, aber auch Hasen fressen Jungwuchs und beeinflussen so die Baumartenzusammensetzung. Für die Tiere sind bestimmte Knospen oder die Rinde der einen Art schmackhafter oder verdaulicher als die der anderen Art. Durch das selektive Verbeißen beeinflussen sie so kurzfristig, welche der Baumarten einen Wachstumsvorsprung erhält und entsprechend langfristig wie unsere Wälder aussehen. Deswegen untersuchen wir, wer was wann und wie stark verbeißt. Verbeißen deshalb, weil verholzte Pflanzen in der Regel nicht komplett gefressen, sondern meist nur angeknabbert werden.
Wir beobachten also nicht nur die Wildtiere selbst, sondern auch ihre Wirkung. Die Ergebnisse sind spannend für die Wissenschaft und die Nationalparkverwaltung, aber auch für die Forst- oder Jagdwirtschaft außerhalb der Nationalparke.
Hinzu kommt: Die Tiere kümmert nicht, wo ein Nationalpark beginnt oder endet. Sie setzen sich buchstäblich über Grenzen hinweg. Besonders im Winter, wenn in den Höhenlagen die Vegetation etwas spärlich oder unterm Schnee versteckt ist. Im Nationalpark selbst darf Natur Natur sein und sich frei entwickeln. Übertreten die Tiere jedoch die Nationalparkgrenze, wird der natürliche Prozess des Knabberns schmackhafter Triebe oder Knospen zum Schaden in forstwirtschaftlich oder landwirtschaftlich genutzten Flächen. Um die Nachbarn vor solchen Schäden zu schützen, betreiben alle Nationalparke in Deutschland ein Wildtiermanagement (siehe Erhart et al. 2021 oder zum Wildtiermanagement im Nationalpark Schwarzwald).
Exkurs: Wild, Schalenwild, Rotwild oder Säugetier, Huftier, Rothirsch?
Ob ein Tier als Auerwild oder Auerhuhn, Schwarzwild oder Wildschwein bezeichnet wird, kommt auf die (Fach)Sprache an, also auf den Kontext. Das kann verwirren. Im Kontext der Forschung benutzen wir die zoologischen Begriffe aus der Taxonomie, also ein Auerhuhn ist ein Vogel und ein Wildschwein ein Säugetier. Historisch gewachsen ist demgegenüber die Jägersprache, die auch Anwendung im Jagdgesetz findet. Nach Paragraph 2 des Bundesjagdgesetzes (https://www.gesetze-im-internet.de/bjagdg/__2.html) wird das Auerhuhn (hier Auerwild) dem Federwild und das Wildschwein (hier Schwarzwild) dem Haarwild zugeordnet.
So weit, so logisch. Daneben gibt es jedoch weitere jagdhistorisch begründete Untergliederungen. Hier wird danach unterteilt, wer wann das Recht hatte, die eine oder die andere Art zu jagen, und wann die Jagd als Wilderei geahndet wurde. Auerhuhn und Wildschwein gehören wie der Steinadler zum Hochwild, nicht aber das Reh, das gehört wie der Feldhase zum Niederwild.
Das hier vorgestellte Projekt "Schalenwildforschung in deutschen Nationalparken" zeigt, dass die Konsistenz manchmal leidet, wenn man sich an der Schnittstelle zweier Fachgebiete bewegt. Über Schalenwild wurde schwerpunktmäßig geforscht, weil dazu die Tierarten gehören, die das Wildtiermanagement der Nationalparke im Hinblick auf die Schutzgebietsgrenzen am meisten beschäftigen. Also Huftiere, die innerhalb des Nationalparks für erwünschte Dynamik und außerhalb für unerwünschte Schäden sorgen können: Rothirsch, Reh und Wildschwein.
Wie wird das Monitoring im Nationalpark Schwarzwald umgesetzt?
Im Rahmen des langfristigen Biodiversitätsmonitorings werden im Nationalpark Schwarzwald Tiere mit Kamerafallen und der Baumartenjungwuchs beobachtet und dokumentiert. Dieses umfassende Monitoring wurde bereits 2016 etabliert. Die Erfassungen werden alle zehn Jahre wiederholt.
Die Aufnahmeflächen wurden nach bestimmten Kriterien ausgewählt. Ausschlaggebend dabei war die Repräsentanz der Standortsituationen sowie die komplette Abdeckung der standörtlichen Gradienten (Standort in Relation zum Pflanzenwachstum: Nährstoff, Wasser, Licht- und Temperaturbedingungen). Auf Nationalparkfläche wurden so 210 Monitoring-Punkte eingerichtet und dann zufällig über die drei Aufnahmejahre verteilt untersucht. So konnten wir gewährleisten, die gesamte Variabilität mit möglichst geringer Störung auf der Fläche abzudecken.
Klassischerweise werden in der forstwissenschaftlichen Forschung (z.B. Bundeswaldinventur, Bannwaldgrundaufnahme) zur Auswahl von Aufnahmepunkten Gitternetze angewandt mit dem Ziel der gleichmäßigen räumlichen Abdeckung. So wird auch in diesem Projekt ein regelmäßiges 1.000 Meter Raster angestrebt.
Im Nationalpark Schwarzwald wurde kein zusätzliches neues Netz etabliert, sondern aus den bestehenden Aufnahmeflächen diejenigen ausgewählt, die den vorgegebenen 1.000 Metern Rasterpunkten am nächsten kamen. Dazu wurden für die komplette räumliche Abdeckung auch noch einige Stellen ergänzt. Mit diesem Vorgehen konnten wir die Störung in der Fläche so gering wie möglich halten und Ressourcen schonen. Außerdem wird so auch gewährleistet, eine repräsentative Angabe zur Populationsgröße der Tierarten zu bekommen. Die Anzahl der Tiere wird üblicherweise überschätzt. Denn Kamerafallen werden oft dort aufgehängt, wo die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass auch tatsächlich Tiere vorbeikommen und abgelichtet werden, z.B. an Wildwechseln. Das vermeiden wir bei unserem Monitoring ganz bewusst.
Was passiert mit den vielen Wildkamerabildern?
Wie Stichprobenpunkte ausgewählt und die Fotofallen angebracht werden, ist relativ gut vorstellbar. Aber was dann? Es entstehen viele Fotos, die alle gesichtet und nach verschiedenen Kriterien verschlagwortet werden müssen, um sie statistisch auswerten zu können. Das ist extrem zeitaufwendig. Alleine während der Pilotstudie (2019 bis 2020) sind in den zehn Großschutzgebieten 1.194.075 Kamerafallenbilder zusammengekommen (siehe Fiderer et al 2023a). Im Projekt waren noch sehr viele studentische Hilfskräfte, Praktikantinnen und Praktikanten im Einsatz. Für das langfristige Dauermonitoring ist das zu teuer. Daher dienten die von Menschen verschlagworteten Fotos zum Training von Mustererkennungsalgorithmen der Künstlichen Intelligenz. Zukünftig können verschiedene Tierarten, ihre Anzahl und ihre abgelichteten Aktivitäten automatisch identifiziert werden. Darüber wurde auch in einem Beitrag des Wissenschaftsmagazins NANO berichtet (2023-10-13).
Ausblick
Der Abschlussbericht zum Forschungs- und Entwicklungsprojekt wird derzeit vorbereitet. Die Zusammenfassung der Ergebnisse mit Abbildungen für den Nationalpark Schwarzwald wird demnächst als Beitrag hier zu finden sein.
Das Vorgehen aus diesem Pilotprojekt wird unter anderen im Nationalpark Schwarzwald in das Dauermonitoring übernommen. Wie bereits in einer Pressemitteilung angekündigt, hängen die Kameras schon für den nächsten Durchgang: https://www.nationalpark-schwarzwald.de/de/nationalpark/blog/2023/monitoring-mit-fotofallen-nationalparks-zaehlen-huftiere
Im Frühjahr vor dem Laubaustrieb wird auch der Jungwuchs der Baumarten ein zweites Mal nach der im Projekt entwickelten Methode erfasst. Wie das genau abläuft, wird in einem nächsten Beitrag erläutert. Durch das Projekt können wir einen Vergleich zwischen den Nationalparken herstellen, aber auch von den Entwicklungen seit Nationalparkausweißung berichten.
Referenzen:
Fiderer C, Storch I & Heurich M (2021). Schalenwildmonitoring in Nationalparken in Deutschland. AFZ Der Wald 76(21), 12-16. https://www.researchgate.net/publication/356175383_Schalenwildmonitoring_in_Nationalparken_in_Deutschland
Fiderer C, Storch I & Heurich M (2023). Schalenwildmonitoring in den deutschen Nationalparken – Teil 1. AFZ Der Wald 78(22): 29-31. https://www.digitalmagazin.de/marken/afz-derwald/hauptheft/2023-22/wald-und-wild/029_schalenwildmonitoring-in-den-deutschen-nationalparken-teil-1
Mehr zum abgeschlossenen Pilotprojekt:
Weiter Hintergrundinformationen zu vorhergehenden und nationalparkübergreifenden Projekten:
Ehrhart S, Lang J, Simon O, Hohmann U, Stier N, Nitze M, Heurich M, Wotschikowsky U, Burghardt F, Gerner J und Schraml U (2021) Wildmanagement in deutschen Nationalparken. BfN-Skripten 434, 180 S.
https://www.bfn.de/sites/default/files/BfN/service/Dokumente/skripten/skript434.pdf
Der Nationalpark Schwarzwald ist innerhalb von Baden-Württemberg in die Rotwildkonzeption Nordschwarzwald der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) eingebunden, Informationen sind zu finden unter:
https://www.rotwildkonzeption-nordschwarzwald.de/
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Zur Person
Dr. Stefanie Gärtner
Vegetation und Prozessschutz
Tel.: +49 7442 18018 220
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Raffael Kratzer
Forstwissenschaftler und Wildtierexperte
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