Auerhuhn: Beim Artenschutz geht es nicht nur um die Biodiversität

12.08.2024 von Dr. Susanne Berzborn in Kategorie : Nationalparkforschung
  • Auch wenn im Schwarzwald in diesem Frühjahr insgesamt 111 balzende Hähne erfasst werden konnten, ist das Auerhuhn in Baden-Württemberg vom Aussterben bedroht. Im Nationalpark Schwarzwald wurden 28 Hähne nachgewiesen. Der Schutz dieser Auerhuhnpopulation ist eine unserer Aufgaben. Im Nationalpark soll möglichst vielen Tieren und Pflanzen ein Lebensraum geboten werden, um verschiedene Arten zu schützen, die unter anderem in Folge des Klimawandels bedroht sind.

    Diese Entwicklungen werden im Nationalpark natur- und sozialwissenschaftlich begleitet. Im heutigen Blogbeitrag geht es um die sozial- oder gesellschaftswissenschaftliche Perspektive, um die Auswirkungen des Sterbens von Arten auf die Beziehungen von Menschen und Tieren.

    Das Auerhuhn aus sozialwissenschaftlicher Perspektive

    Die Kölner Ethnologiestudentin Lisa Bargheer hat sich den Mensch-Tier-Beziehungen am Beispiel des Auerhuhns gewidmet. Dabei waren ihr folgende Fragen wichtig: Welche Bedeutung hat das Auerhuhn für die Schwarzwaldregion und insbesondere für einzelne Personen? Was macht die Faszination für dieses Tier aus und wie gehen Menschen mit dessen Aussterben um? Welche Bedeutung haben dabei persönliche Emotionen? Schließlich wird durch Umweltveränderungen auch die emotionale Verbindung, die Menschen mit ihrer Umwelt eingehen, aufgerüttelt.

    Für ihre Feldforschung verbrachte die Masterstudentin im Mai und Juni 2023 sechs Wochen im Nationalpark Schwarzwald. In Kooperation mit der Ethnologin Susanne Berzborn und dem Wildtiermanager Raffael Kratzer, der für das Auerhuhnmonitoring verantwortlich ist, wurde ein geeignetes Forschungskonzept erarbeitet. Über dieses Netzwerk entstand der Kontakt zu möglichen Interviewpartnern.

    Es konnten sieben zielgerichtete qualitative Interviews mit Personen geführt werden, die beruflich und privat im Auerhuhnschutz aktiv sind.

    Außerdem wurden rund 80 Besucherinnen und Besucher des Nationalparks im Rahmen einer explorativen quantitativen Erhebung befragt (siehe Abbildung 1). Zusätzlich wurden mehrere teilnehmende Beobachtungen durchgeführt.

    Und was kam dabei heraus?

    Die Befragungen im Nationalpark sollten einen Überblick über die Relevanz des Auerhuhns bei den Besuchenden des Nationalparks vermitteln. Das Auerhuhn war über 90 Prozent der befragten Personen bekannt. Meist war es allerdings unter der Bezeichnung Auerhahn geläufig. Unter den Leuten, die das Auerhuhn kannten, waren wiederum 91 Prozent dafür, den größten Hühnervogel Europas im Schwarzwald zu erhalten. Ein besonders ausgeprägtes Interesse am Auerhuhn hatten immerhin 42 Prozent der Befragten.

    Die Besuchenden wurden auch zu den vorgenommenen Schutzmaßnahmen des Notfallplans im Nationalpark befragt. Dabei zeigte sich, dass grundsätzlich die Bereitschaft besteht, das Auerhuhn zu schützen und dafür Einschränkungen zu tolerieren. Zusätzliche Einschränkungen wie weitere Wegsperrungen stoßen zwar erst einmal auf Skepsis, werden aber grundsätzlich akzeptiert. Kontroverser wurde hingegen das Schaffen von Freiflächen für das Auerhuhn betrachtet. Hier stoßen verschiedene Schutzprinzipien aufeinander - Prozessschutz und Artenschutz. Dies erfordert ein Abwägen und Aufklären.

    Ergebnisse der Experteninterviews

    Doch wie sieht das Mensch-Auerhuhn-Verhältnis für Personen aus, die die Beschäftigung mit dem Auerhuhn als ihre Passion bezeichnen?

    Die Interviews zeigen, dass das Auerhuhn als eine einzigartige Tierart angesehen wird. Insbesondere die Balz (siehe Abbildung 2) fasziniert die Beobachtenden und wird als Abenteuer beschrieben.

    Es geht dabei aber um mehr. Der Wald, in dem sich das Auerhuhn wohlfühlt, entspricht gleichzeitig der idealtypischen Waldvorstellung vieler Menschen. Es sind Wälder, die auch der Mensch als besonders schön betrachtet, weil sie divers, strukturiert und lichtdurchflutet sind. Durch die häufig mehrstündige Auerhuhnbeobachtung in Stille entsteht eine sehr besondere Beziehung zur Natur. Das Auerhuhn hat für diese Menschen auch einen Einfluss auf die lokale Identität. Durch seine historisch-kulturelle Bedeutung wird es auch heute noch stark mit dem Schwarzwald in Verbindung gebracht. Auerhühner sind im Zuge dessen zu Symbolen für die Konstruktion einer regionalen Identität geworden.

    In den Interviews wird deutlich, dass bei Menschen, die sich intensiv mit dem Auerhuhn beschäftigen, sein Aussterben starke negative Emotionen wie Trauer auslösen kann. In der psychologischen Forschung werden diese Emotionen auch als Klimaemotionen beschrieben. Diese Emotionen müssen nicht an eine bestimmte Tierart geknüpft sein. In den Befragungen wurden auch Gefühle wie Wehmut, Wut und Angst in Bezug auf das allgemeine Artensterben geäußert.

    Blick in die Zukunft

    Durch den Klimawandel wird es unweigerlich zu drastischen Umweltveränderungen kommen. Diese werden sowohl praktisch als auch emotional Auswirkungen auf viele von uns haben. Eine Wortneuschöpfung des Philosophen Glenn Albrecht beschreibt dieses Gefühl der Verzweiflung, welches entstehen kann, wenn Menschen mit Umweltveränderungen konfrontiert sind, die in ihrem direkten Umfeld stattfinden. Albrecht nennt dieses Gefühl Solastalgie. Mit diesem Begriff können auch Emotionen beschrieben werden, die in Bezug auf das Artensterben entstehen.

    Beim Biodiversitätsverlust ist es demnach auch von Bedeutung, die artübergreifenden emotionalen Bindungen zu betrachten und als einen realen sowie wertvollen Aspekt des Zusammenlebens anzuerkennen.

     

    Dieser Text beruht auf einer Vorlage von der Masterandin Lisa Bargheer, Universität zu Köln.

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