Die Vielfalt biologischer Vielfalt - Erforschung eines Diskurses

26.03.2025 von Daniel Bräunling, Dr. Kerstin Botsch, Dr. Susanne Berzborn in Kategorie : Nationalparkforschung
  • Wenn von Biodiversität die Rede ist, dann finden sich viele Akteure aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, die sich zum Thema Biodiversität austauschen und an der Debatte beteiligen. Doch welche Akteure kommen dabei zur Sprache und warum genau diese und nicht andere? Über welche Akteure wird viel eher gesprochen als dass diese sich selbst äußern? Und allgemeiner: Was kann, losgelöst von gängigen Definitionen, überhaupt unter Biodiversität verstanden werden? Welchen Mustern und Regelmäßigkeiten folgt die Debatte zum Thema Biodiversität?

    Eingebettet in das Verbundprojekt „Von der Einsicht zu(m) Handeln. Nachdenklichkeit, alltägliche Lebensführung und sozial-ökologische Transformation“ nehmen wir uns im Rahmen eines Teilprojekts genau diesen Fragen an. Wir untersuchen mit dem Programm der sogenannten Wissenssoziologischen Diskursanalyse, nach welchen Mustern Biodiversität in der medialen Berichterstattung in Deutschland konstruiert wird. Wir wollen herausfinden, auf welche Art und Weise über Biodiversität geschrieben und gesprochen wird und welche Akteure dabei zur Sprache kommen, aber auch, welche Sinn- und Deutungsweisen Biodiversität im Zuge der Debatte zugeschrieben werden. Das alles gehört zu einem Diskurs dazu. Zum jetzigen Zeitpunkt hat Daniel Bräunling vor allem Presse- und Websitenartikel sowie News- und Blogbeiträge analysiert. Bislang zeichnet sich ein dominanter Diskurs ab, der bestimmte Muster aufweist. Einige davon sollen hier näher beschrieben werden:

    An dem Diskurs beteiligen sich in erster Linie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Biodiversitätsforschung, Agrarökonomie oder Insektenkunde. Ihnen wird im Diskurs eine Expertenrolle zugeschrieben und ihre Meinungen werden in den Medien gezielt platziert. Die Berichterstattung bildet hierbei den Raum und die Plattform zur Meinungsäußerung für diese Akteure. International oder national tätige Politiker:innen kommen seltener zur Sprache. Über diese sowie über politische Ereignisse wird eher gesprochen und berichtet, als dass diese sich selbst äußern.

    Inhaltlich ist besonders interessant, dass Biodiversität in aller Regel mit Artenvielfalt gleichgesetzt wird, wobei hier auch auf die Wichtigkeit der Lebensräume von Tier- und Pflanzenarten verwiesen wird. Biodiversität wird verstanden als komplexes sowie empfindliches Netz des Lebens, bestehend aus Pflanzen, Tieren und deren Lebensräumen.

    Bild eines Wurzeltellers am Lotharpfad

    Nun kommt ein ganz entscheidender Punkt: Dieses sehr verletzliche Netz des Lebens wird durch das Verhalten des Menschen – und hiermit sind im Diskurs nicht besondere Personengruppen sondern explizit alle auf der Erde lebenden Menschen gemeint – gestört und aus dem Gleichgewicht gebracht: Sei es durch die Versiegelung von Flächen, also den Bau von Städten oder durch intensive Landwirtschaft, durch die Ausbeutung natürlicher Ressourcen wie beispielsweise die Überfischung der Meere, durch die Verschmutzung der Umwelt und nicht zuletzt durch den Klimawandel. Die am Diskurs beteiligenden Akteure sind sich einig, dass die Ursachen des Rückgangs biologischer Vielfalt menschengemacht sind.

    Und genau über diesen Bezug wird Biodiversität nun auch konstruiert: Man spricht über Biodiversität eigentlich nur im Zusammenhang mit dem Rückgang und Verlust biologischer Vielfalt. Dabei besteht Konsens, dass diesem Trend entgegengewirkt werden soll. Diese Forderung richten vor allem Wissenschaftler:innen an Politiker:innen. Auch bieten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Lösungen an, die sich meist an Bürgerinnen und Bürger richten, zum Beispiel Bio-Produkte zu kaufen. In diesem Zusammenhang wird sowohl das Kollektiv Mensch als auch jede und jeder Einzelne als Schützerin und Bewahrer konstruiert. Der Schutz und Erhalt biologischer Vielfalt gilt dabei als (absolut) wünschenswert und wird als (unhinterfragbare) Norm gesetzt. Hiermit ist in erster Linie der Schutz und Erhalt der vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten gemeint.

    Auch die Frage, warum Biodiversität überhaupt erhalten werden soll, lässt sich mit Blick auf die bisherigen Analyseergebnisse beantworten. Die Notwendigkeit des Erhalts biologischer Vielfalt wird mit sogenannten Ökosystemdienstleistungen begründet, die die Natur für uns Menschen bereitstellt. Besonders betont wird hier die Leistung von Insekten, allen voran von Bestäubern wie Bienen und Schmetterlingen. Diese Leistung wird häufig in einen monetären Gegenwert umgerechnet.

    Bild der Bergheide/Grinde im Nationalpark

    Der Mensch gilt allerdings nicht nur als Schützer und Bewahrer biologischer Vielfalt, sondern auch als Opfer und Täter: denn die Ursachen für den Verlust biologischer Vielfalt sind menschengemacht, wobei wir Menschen aber von diesem Verlust existenziell betroffen sind. Wie wir sehen, wird der Mensch hier nicht als ein Teil von Natur und dem Netz des Lebens verstanden, sondern steht diesem vielmehr gegenüber.

    Ein weiteres Merkmal des Diskurses sind dystopische Zukünfte. So zum Beispiel in Form von Apokalypsen und Endzeitszenarien nach dem Motto: Wie würde die Welt aussehen, wenn wir jetzt nicht handeln und Biodiversität schützen. In diesen Szenarien sieht es ziemlich düster aus. Dieses Phänomen ist zwar ein markantes Muster des Diskurses, aber nicht neu: Wir kennen es bereits aus Filmen wie Roland Emmerich’s 2012, The Day After Tomorrow oder auch aus Adam Mc Kay’s Don’t Look Up.

    Perspektivisch lassen die Ergebnisse der Wissenssoziologischen Diskursanalyse Rückschlüsse auf die Bedingungen sozial-ökologischen Wandels zu. Dominiert in der medialen Berichterstattung beispielsweise ein Diskurs, in dessen Mittelpunkt Ausbeutungsverhältnisse zwischen Mensch und Natur sowie negative Zukünfte gerückt werden, so wirken diese Muster möglicherweise transformationshemmend. Der Aufenthalt im Nationalpark Schwarzwald kann diesen insofern entgegenwirken, als dass der Mensch sich als Teil von Natur versteht und sich die von der Natur bereitgestellten Öksystemdienstleistungen bewusst macht. Dadurch erkennt er oder sie vielleicht die Vielfalt des Lebens, schützt sie und handelt möglicherweise mehr auf eine erstebenswerte Zukunft hin.

    Wir werden sehen, in welche Zukünfte uns die Reise der Diskursanalyse zum Thema Biodiversität noch führen wird. An dieser Stelle bleibt nur abzuwarten, ob sich im Verlauf der Analyse weitere Muster identifizieren lassen, die Rückschlüsse auf neue und möglicherweise gänzlich andere Diskurse zulassen, vielleicht auch mit schönen Zukünften. So oder so: Biodiversität ist vielfältig und das auch auf diskursiver Ebene!

    Wer mehr über das Programm der Wissenssoziologischen Diskursanalyse erfahren möchte, findet hier ein grundlegendes Werk: Keller, Reiner (2005). Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungsprogramms. VS Verlag.

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    Daniel Bräunling

    Daniel Bräunling

    Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Drittmittel-Projekt "Von der Einsicht zum Handeln"

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    Dr. Kerstin Botsch

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