Naturnahe Beweidung

02.05.2025 von Markus Handschuh, Nadine König, Esther Del Val Alfaro, Dr. Marc Förschler in Kategorie : Nationalparkforschung
  • Naturnahe Beweidung als Schlüsselfaktor im Vogelschutz (Vortrag)

    Große Pflanzenfresser sind von besonderer Bedeutung für den Vogelschutz, weil alle einheimischen Vogelarten, sowohl Wald- als auch Offenlandarten, evolutionär eng an deren Aktivität angepasst oder sogar davon abhängig sind. Über Millionen von Jahren und bis vor wenigen tausend bis hundert Jahren haben Mega- und Großherbivoren wie Elefanten, Nashörner, Wisente und Auerochsen einheimische Lebensräume entscheidend geprägt und strukturiert.

    Heute fehlen diese großen Pflanzenfresser weitgehend – vor allem, weil sie vom modernen Menschen ausgerottet wurden. Dies hat zum Verlust wichtiger ökologischer Prozesse geführt, mit fundamentalen negativen Auswirkungen auf Ökosysteme, ihre Biodiversität und ihre Widerstandsfähigkeit.

    Somit schützen wir aktuell verarmte und unvollständige Systeme, was den Erfolg unserer Arten-, Natur- und Umweltschutzmaßnahmen sowie die Wirksamkeit unserer Schutzgebiete stark beeinflussen kann. Auch unsere Vögel haben durch den Verlust großer Pflanzenfresser innerhalb kürzester erdgeschichtlicher Zeit wesentliche, Jahrmillionen alte Bestandteile ihrer Umwelt und Ökologie verloren.

    Die fünf Hauptwirkungen, mit denen große Pflanzenfresser Landschaften gestalten, intakte Nahrungsnetze schaffen und Arten fördern, sind: Fraß und Verbiss, Tritt, Suhlen und Lagern, Dungproduktion, Samenverbreitung und große Tierkadaver. Diese Weide- und Weidetiereffekte erzeugen eine hohe Vielfalt und ein feinkörniges Mosaik aus biotischen und abiotischen Strukturen, was wiederum eine reiche Biodiversität fördert.

    Bei der vom Menschen gesteuerten Beweidung können domestizierte große Tiere wie Rinder oder Pferde zumindest einen Teil der Rolle ausgestorbener einheimischer Pflanzenfresser übernehmen. Dabei sind verschiedene Faktoren und Weideparameter entscheidend, z. B. die Weidetierart/-rasse und ihre ökologisch-funktionellen Eigenschaften wie Körpergröße oder Ernährungstyp: Beispielsweise bevorzugen Rinder Gras, fressen mit ihrem breiten Maul unselektiv viel Vegetation und schaffen aufgrund ihres hohem Körpergewichts naturschutzfachlich wertvolle offene Bodenstellen. Die leichten Schafe dagegen fressen mit ihrem spitzen Maul sehr selektiv Blüten und Kräuter und verursachen kaum Bodenstörung.

    Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Art der Beweidung: Hier unterscheidet man vor allem zwischen extensiver Standweide bzw. Hütehaltung mit gleichmäßiger Dauerbeweidung und Umtriebsweide mit intensiver Kurzzeitbeweidung in Koppeln. Während die extensive Standweide und die Huteweide konstant und wenig invasiv sind und daher oft heterogene, strukturreiche Lebensräume mit hoher Grenzliniendichte und Weidegradienten schaffen, ist die Umtriebsweide invasiv und wirkt sich aufgrund abrupter starker Habitatveränderungen meist negativ auf Arten und Lebensräume aus.

    In diesem Zusammenhang wird im Vortrag auch der ökologisch entscheidende Unterschied zwischen der rechnerischen Besatzstärke und der tatsächlichen Besatzdichte von Weidetieren erläutert.

    Anhand von Beispielen werden die Auswirkungen von Beweidung sowie günstige bzw. ungünstige Strukturen erläutert. Pionierarten, unter den einheimischen Vögeln z. B. die Heidelerche, sind auf kurzrasige, lückige Vegetation angewiesen, während Saumarten wie die Grauammer dichtere Vegetationsstrukturen benötigen. Diese Strukturen müssen im Bereich von Nahrungsflächen und von Fortpflanzungsstätten mindestens über die gesamte Brutzeit hinreichend stabil bleiben, eine Anforderung, die bei ungeeigneter Weideführung gefährdet wird. Werden Weideflächen beispielsweise zu spät, zu abrupt oder mit zu vielen Tieren beweidet, kann dies den Bruterfolg und die Reproduktionsrate von Organismen durch Brutverluste oder den plötzlichen Mangel an Deckung und Nahrung stark beeinträchtigen. Es werden Beispiele aufgezeigt, bei denen zu starke und / oder schlecht getimte Beweidung die Reproduktion von Vogelarten gefährdet. Dabei sind nicht nur kurzfristige Auswirkungen wie Nestzerstörungen relevant, sondern auch mittelfristige wie der Verlust von mehrjährigem Altgras oder langfristige wie die nachhaltige oder gar irreparable Schädigung von Gehölzstrukturen.

    Eine zentrale Botschaft des Vortrags lautet: Weder fehlende noch zu starke Beweidung ist förderlich für Vögel und andere einheimische Arten und deren Lebensräume. Dagegen führt möglichst dauerhafte und gleichzeitig wenig invasive Beweidung auf ausreichend großen Flächen im Wald und im Offenland zu einer im Durchschnitt mittleren Störungsintensität und fördert ein feingliedriges Habitatmosaik, das allen Arten, Pionier- wie Saumarten, geeignete Nischen bietet. Hier entstehen auch sogenannte „extensiv-weide-resistente“ Strukturen, die trotz Beweidung erhalten bleiben und den vorkommenden Arten im Rahmen einer „langsamen Dynamik“ ausreichend stabile und sichere Lebensstätten bieten. In einer Zusammenfassung wird dargelegt, dass große Pflanzenfresser – ob wild oder domestiziert – ein Schlüsselfaktor im Vogelschutz sind. Denn sie beeinflussen alle für Vögel relevanten Strukturen und Zusammenhänge und haben starke direkte und indirekte Auswirkungen auf unsere Vogelbestände und ihre Lebensräume.

    Für einen effektiveren Vogelschutz brauchen wir wieder mehr große Tiere in unserer Landschaft, im Wald wie im Offenland. Angesichts ihrer wesentlichen ökologischen Bedeutung sollten große Pflanzenfresser auch in Schutzgebieten wieder mehr Berücksichtigung finden.

    Kommentare

    Aktuell sind noch keine Kommentare vorhanden.

    Hinterlasse uns einen Kommentar:

    Verbleibende Zeichen: 600

    Zurück

    Zur Person

    Markus Handschuh

    Markus Handschuh

    Forschungs-Konzeption, Vertebraten-Monitoring und Artenschutz

    Tel.: +49 7442 18018 212
    markus.handschuh@nlp.bwl.de

    Nadine König

    Nadine König

    Forschungs-Konzeption, Vertebraten-Monitoring und Artenschutz

    Tel.: +49 7449 18018 211
    nadine.koenig@nlp.bwl.de

    Esther Del Val Alfaro

    Esther Del Val Alfaro

    Forschungs-Konzeption, Vertebraten-Monitoring und Artenschutz

    Tel.: +49 7442 180 18 270
    esther.delvalalfaro@nlp.bwl.de

    Marc Förschler

    Dr. Marc Förschler

    Forschungs-Konzeption, Vertebraten-Monitoring und Artenschutz

    Tel.: +49 7442 18018 200
    marc.foerschler@nlp.bwl.de