Raumnutzung der Rothirsche im Nationalpark

01.02.2025 von Thorsten Schaupp, Raffael Kratzer in Kategorie : Nationalparkforschung
  • Der Rothirsch in unseren Wäldern

    Cervus elaphus, wie der Rothirsch mit wissenschaftlichem Namen heißt, ist ein großer Pflanzenfresser. Sein Lebensraum wird durch Landnutzungspolitik weitgehend in festdefinierte Waldgebiete zurückgedrängt. Dort nimmt er aufgrund seiner Lebens- und Ernährungsweise zum Teil erheblichen Einfluss auf die Waldentwicklung und somit auch auf die spätere wirtschaftliche Nutzung der Wälder.

    Bisher ist jedoch wenig über die tatsächliche räumliche Nutzung seines Lebensraums im Schwarzwald bekannt. Besonders interessieren die Fragen,

    • ob es Unterschiede in der Lebensraumnutzung zwischen männlichen und weiblichen Hirschen gibt,
    • ob der Lebensraum im Jahresverlauf von den großen Pflanzenfressern in gleicher Weise genutzt wird, und
    • ob Wanderbewegungen erkennbar sind.

    Im Rahmen einer Masterarbeit an der Universität Freiburg wurden diese Fragestellungen untersucht.

    Untersuchungsmethode

    Um die Position von Rothirschen kontinuierlich über einen längeren Zeitraum zu verfolgen, eignet sich die Satelliten-Telemetrie. Dabei werden die Hirsche während einer kurzen Betäubungsphase (siehe Abb. 1) mit einem GPS-Empfänger-Senderhalsband ausgestattet. Der Sender sendet in regelmäßigem Intervall - in unserem Fall alle 2 Stunden ein Signal mit den Positionsdaten, das von satellitengestützten Antennen empfangen und in eine Datenbank weitergeleitet wird. Nach Ablauf einer bestimmten Zeit fallen die Halsbänder von allein wieder ab.

    Im Nationalpark Schwarzwald werden seit einigen Jahren im Rahmen eines großen Forschungsprojekts Rothirsche beiderlei Geschlechts mit Telemetriehalsbändern ausgestattet (siehe Abb 1). Die auf diese Weise über einen kontinuierlichen Zeitraum von mindestens zwei Jahren gesammelten Daten von elf besenderten Tieren (sechs männliche und fünf weibliche Tiere) aus dem Zeitraum von 2015 bis 2020 lieferten die Grundlage für die Analyse der Raumnutzung der Rothirsche im Nationalpark Schwarzwald. Die erfassten räumlichen Aktivitäten, sogenannte Streifgebiete der Rothirsche ergeben sich aus der Nahrungssuche, aus Paarungsaktivitäten und aus der Aufzucht der Jungtiere. Da pro Rothirsch Daten aus mindestens zwei aufeinanderfolgenden Jahren vorlagen, konnte auch die Kontinuität der Lebensraumnutzung untersucht werden.

     

     

    Wie verhalten sich die Rothirsche im Nationalpark?

    Die Größe des jährlich durchstreiften Gebietes, der wissenschaftliche Begriff hierfür lautet Jahresstreifgebiet KDE95, unterscheidet sich nach Geschlecht und beträgt bei den von uns untersuchten Individuen bei den männlichen Hirschen durchschnittlich 949 Hektar und bei den weiblichen Hirschen 543 Hektar. Im Vergleich zu anderen Untersuchungsgebieten sind die Streifgebiete im Nationalpark Schwarzwald eher klein. Die männlichen Tiere nutzen hierbei ein deutlich größeres Gebiet als die weiblichen. Diese Ergebnisse decken sich mit Untersuchungen aus anderen deutschen und auch europäischen Untersuchungsgebieten.

    In der jahreszeitlichen Nutzung des Lebensraums gibt es ebenfalls Unterschiede. Im Gegensatz zu Studien aus den Alpen, in denen die Sommerstreifgebiete größer als die Winterstreifgebiete sind, verdoppeln sich in etwa die Streifgebietsgrößen im Nationalpark Schwarzwald zum Winterhalbjahr bei beiden Geschlechtern. Ein möglicher Grund der größeren Raumnutzung während des Winterhalbjahres könnte der Verzicht auf eine intensive Winterfütterung sein. Eine umfangreiche ergänzende Winterfütterung des Rothirsches ist in den Alpen von Deutschland und Österreich, sowie in Ungarn weit verbreitet.

    Generell lässt sich sagen, dass sich der genutzte Lebensraum von Rothirschen mit der Verknappung der kritischen Ressourcen von Nahrungspflanzen vergrößert, während er sich bei hoher Verfügbarkeit derselben verringert. Die Struktur des Lebensraums hat somit einen entscheidenden Einfluss auf die Größe des vom Rothirsch durchwanderten Gebietes. Der Nationalpark Schwarzwald weist in weiten Teilen durch den Orkan Lothar geprägte Waldstrukturen auf. Es gibt großflächig Bereiche mit jungem Wald, d.h. es gibt aktuell eine hohe Verfügbarkeit an Nahrungspflanzen. Dieser Zusammenhang konnte auch in einer französischen Studie nachgewiesen werden.

    Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Masterarbeit ist die hohe Standortstreue der im Nationalpark Schwarzwald besenderten Rothirsche. Die von den Tieren genutzten Lebensräume der aufeinanderfolgenden Jahre sind zu großen Teilen identisch, wobei die weiblichen Tiere eine etwas höhere Ortstreue aufweisen als die männlichen Hirsche.

     

    Untersuchungsgebiet Gesamtstreifgebietsgröße (ha) Streifgebietschätzer
      m=männlich, w=weiblich  
    Nationalpark Schwarzwald m 949 / w 543 Kerndichteschätzung
    Nationalpark Bialowieza m 3600 / w 840 Minimum-Konvex-Polygon
    Isle of Rum, Schottland m 1100 / w 1800 Minimum-Konvex-Polygon
    Dinarisches Gebirge, Slowenien m 576 / w 399 Kerndichteschätzung
    Truppenübungsplatz Grafenwöhr m 514 – 2318 / w 112 – 711 Kerndichteschätzung
    Nationalpark Kellerwald-Edersee m 3999 / w 536 – 1400 Kerndichteschätzung
    Schleswig-Holstein 2406 – 6300 Kerndichteschätzung
    Untersuchungsgebiet Kontinuität Jahresstreifgebiete HRL 50 (ha) Kontinuität Jahresstreifgebiete HRL 95 (ha)
      m=männlich, w=weiblich m=männlich, w=weiblich
    Nationalpark Schwarzwald m 39% / w 62% m 66% / w 75%
    Nationalpark Kellerwald-Edersee   65 - 95%
    Dinarisches Gebirge, Slowenien   44 – 88%
    Truppenübungsplatz Grafenwöhr m 55% / w 74% m 75% / w 88%

    Schlußfolgerung und weitere Forschungsfragen

    Die Auswertung der Telemetriedaten der elf Rothirsche hat ergeben, dass die Tiere eine hohe Ortstreue aufweisen und keine Tendenzen zu jahreszeitlichen Wanderbewegungen in ihrem Lebensraum zeigen. Die Ergebnisse machen deutlich, dass der Einfluss von Rothirschen aus dem Nationalpark auf die Waldvegetation der angrenzenden Wirtschaftswälder geringer ist als bisher angenommen und auf diejenigen Tiere begrenzt, deren Streifgebiete sowohl auf Nationalparkfläche als auch auf der Fläche von Nachbarn liegen.

    Um die angrenzenden Wirtschaftswälder vor möglichen Schäden durch die im Nationalpark lebenden Rothirsche effektiv zu schützen, ist es daher notwendig, die Wildtierregulierung mit Bezug zur Raumnutzung der Rothirsche durchzuführen. Eine ausschließlich zahlenmäßige Reduktion der Rothirsch-Population, wie in der Vergangenheit ist nicht zielführend. Ein Management mit Raumbezug ermöglicht die Optimierung von wildtierregulierungsfreien Ruhebereichen bei gleichzeitiger Optimierung des Schutzes der angrenzenden Wirtschaftswälder.

    Wir werden künftig untersuchen, welche Auswirkungen auf die Raumnutzung der Tiere die im Nationalpark eingerichteten wildtierregulierungsfreien Ruhebereiche haben und wie sich die Raumnutzung in der nächsten Generation der Rothirsche entwickelt.


     

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