„Ich will kein Bourgeois sein“

23.06.2023 von Iris Lemanczyk, Andreas Forch in Kategorie : Blog
  • Die Baskenmütze ist sein Markenzeichen. Auf vielen Fotos habe ich ihn mit Baskenmütze gesehen: Dr. Thomas Waldenspuhl, den Leiter des Nationalparks. Wir haben uns zu einer kleinen Wanderung verabredet. Und jetzt steht er ohne Baskenmütze vor mir. „Ich hab sie im Büro liegenlassen“, sagt er. „So eine Baskenmütze hat auch mein Vater gehabt. Sie hat viele Vorteile. Sie ist dicht, man kann sich draufsetzen, hat also gleich eine Isomatte. Und sie ist finanzierbar, denn ich habe schon viele verloren.“ Sein Hund hat ihm manche wieder gebracht.

    Wir wandern einen schmalen Pfad zwischen Heidelbeersträuchern entlang. Was bedeutet Wald für ihn? „Urwüchsigkeit. Eine individuelle, nicht geformte Eigenwilligkeit und eine Reflexionsmöglichkeit, wie mit Langlebigkeit umzugehen ist.“ Eine irgendwie unerwartete Antwort.

    In diese Richtung geht das Gespräch weiter, immer den Pfad entlang. Waldenspuhl ist Förster geworden, wie sein Vater, „weil ich kein Bourgeois werden wollte, ich will die Zeit mit ihren sehr unterschiedlichen Zielen reflektieren. Da hilft mir der Wald. Denn ein Förster kann den heutigen Wald nur verstehen, wenn er die letzten 300 Jahre im Blick hat – und nur verantwortlich mit ihm umgehen, wenn er die nächsten 300 Jahre im Blick hat.“ Ich muss an die Baskenmütze denken, die Kopfbedeckung, die ursprünglich Bauern und Hirten in den Pyrenäen trugen… Unter keinen Umständen wollte Thomas Waldenspuhl mit einem Bier vorm Fernseher sitzen und anschließend den Leuten die Welt erklären. Er wollte vom Wald lernen. Will es heute noch. Immer wieder macht er sich die zeitliche Dimension des Waldes bewusst. „Was sind wir dagegen? Wir müssen uns nicht so wichtig nehmen.“

    Der herrliche Pfad ist zu Ende, wir biegen in einen Kiesweg ein. In den 1990er Jahren kam erstmals die Idee eines Nationalparks auf. „Ich war zu der Zeit in der Forstdirektion Stuttgart tätig, hab die Diskussion schon früh mitbekommen. Und war von der Idee begeistert. So begeistert, dass ich mit einem Kollegen gewettet habe, dass es spätestens im Jahr 2000 Großschutzgebiete bei uns geben wird.“ Die Wette hat er verloren und damit sechs Flaschen guten Rotweins. Denn es dauerte noch bis 2014, bis der Nationalpark Nordschwarzwald offiziell eröffnet wurde. Mit Dr. Thomas Waldenspuhl und Dr. Wolfgang Schlund als dessen Leiter.

     

    Kairos – die gute Gelegenheit

    Dazwischen liegt nicht nur viel Arbeit, sondern auch „Kairos“, wie Waldenspuhl es ausdrückt. Da schimmert seine Schulzeit im Jesuitenkolleg in St. Blasien durch. Kairos. Altgriechisch. Kairos, eine eher unbekannte Gottheit im olympischen Götterhimmel. Kairos ist die gute Gelegenheit, der günstige Zeitpunkt für eine Entscheidung. Kairos trat in Aktion, als Winfried Kretschmann Ministerpräsident von Baden-Württemberg wurde. Für den Grünen war der Nationalpark nämlich eine Herzensangelegenheit. Grüne und SPD wollten den Park. Waldenspuhl lernte Schlund kennen. Kairos?! Auch Alexander Bonde, der damalige Landesminister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, setzte sich für die Idee eines Nationalparks ein, in dem wir „Natur Natur sein lassen“.

     

    Gewaltige Drehzahl

    „Wir standen mit der Nationalparkidee ziemlich unter Zeitdruck, denn es war klar, dass es in der Legislaturperiode klappen musste: Gesetz, Haushalt, Personal. Die Drehzahl war gewaltig. Zum Glück haben meine Frau und meine Kinder das mitgetragen“, erinnert sich Waldenspuhl.

    Wir blicken hinunter zum Wilden See, blicken in die Ferne. „Alles Nationalpark“, sagt Waldenspuhl. Ich höre ein bisschen Stolz in seiner Stimme mitschwingen, wobei er dies bestimmt nicht bejahen würde. Ich will ihn fragen, wie das war, als er sich mit den Widerständen in der Bevölkerung auseinandersetzen musste….

    Da wird er von zwei jungen Männern angesprochen. Wanderer. Sie würden etliche tote Fichten sehen. Sei das nicht besorgniserregend? „Der Wald kommt gut damit klar“, antwortet Waldenspuhl. „Das Ökosystem Wald wird nie gefährdet sein, denn es kennt keine menschlichen Maßstäbe, nur: werden, wachsen, vergehen. Aber es wird sich wandeln. Ob wir Menschen damit klarkommen, das ist die Frage.“ Waldenspuhl kommt auf den Klimawandel zu sprechen. „Das hat unsere Generation vermasselt. Schon 1979 gab es Studien, dass es mit dem Klima so kommen wird, wenn wir so weitermachen – und wir haben nichts dagegen getan, haben die Zeit verstreichen lassen, als es noch verträglichere Alternativen gegeben hätte. Und jetzt? Immer noch haben wir kein Rezept für die Zukunft. Gleichzeitig werden unsere Möglichkeiten immer begrenzter. Wenn wir die Temperaturerhöhung nicht in den Griff kriegen, dann wird die nächste Generation leiden.“ Die beiden Wanderer lauschen nickend, fast überfordert. Sie sind die nächste Generation.

    Wir gehen weiter den Kiesweg entlang. Zurück zu den Widerständen. In einer Halle in Baiersbronn empfingen ihn damals an die 800 Leute, 50 davon Befürworter des Nationalparks. Der Rest war gegen die Idee des Nationalparks, also gegen Schlund und ihn. Unvergesslich blieb ihm ein alter Mann, der ans Mikrofon trat und erzählte, dass seine Frau damals 1948 die Fichtensetzlinge zum Ruhestein hochgetragen habe und er das Wasser. Soll das alles keinen Wert mehr haben? „Natürlich konnte ich den Mann verstehen. Aber das war eine andere Zeit – die Vergangenheit. Der Nationalpark ist ein Aufbruch in eine andere, eine neue Zeit. Wie die aussieht, wissen wir noch nicht.“

     

    Diskussionsfreudiges Elternhaus

    Gutes Rüstzeug für Gegenwind und Anfeindungen hat Thomas Waldenspuhl bereits in seinem Elternhaus in Waldshut-Tiengen erhalten. Der Vater war ein CDU-ler, sein Schwager ein Kommunist. Ein Haus der großen Gegensätze. „Bei uns herrschte eine gute Diskussionskultur. Wir überlegten, bis wohin wir ähnliche Grundwerte hatten, dann differenzierten wir, wo die Meinungen auseinandergingen. Immer im respektvollen Umgang miteinander.“

    Eine Spur wilder – lautet der Slogan des Nationalparks. Ist er wilder geworden? Waldenspuhl bleibt an einer Fichte stehen, die durch den Borkenkäfer geschwächt ist. „Natur Natur sein lassen“, wiederholt er. „Den Prozess lassen. Wenn die Fichte stirbt, kommt etwas anderes, Vielfalt entsteht und Verjüngung.“ Werden. Wachsen. Vergehen.

    Wir sind fast wieder an der Villa Klump am Ruhestein angekommen. Dort steht der Schreibtisch von Thomas Waldenspuhl. Aber nur noch bis Ende September, danach beginnt sein Ruhestand. Sein Nachfolger wird Wolfgang Schlund, mit dem er bereits einige Jahre den Nationalpark geleitet hat. Der Abschied wird ihm nicht leichtfallen. „Da werden bei mir sicherlich auch Tränen fließen. Aber ich werde mich ab Oktober komplett raushalten.“

    Bevor Waldenspuhl wieder an den Schreibtisch geht, bitte ich ihn, den Satz zu vollenden: Der Nationalpark ist… „eine Oase in Raum und Zeit, mit der Chance zum Austesten von Zukunftsoptionen für die Menschheit“.


    ZUR PERSON

    Dr. Thomas Waldenspuhl, Jahrgang 1957, ist seit der Gründung des Nationalparks 2014 als dessen Leiter tätig. Vor seinem Wechsel an die Nationalparkspitze leitete der Diplom-Forstwirt die Abteilung Wald und Gesellschaft in der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt des Landes in Freiburg.

    3 Kommentare

    24.06.2023 um 18:33 Uhr von Gast:

    Wege
    Die Bilder machen mich neugierig auf eine Wanderung im Nationalpark. ???? welche Strecke empfehlen Sie?
    Antworten

    25.06.2023 um 00:41 Uhr von Gast:

    neue Sicht
    Ich konnte bislang mit dem Schwarzwald nichts anfangen, dieser Artikel eröffnett aber neue Einblicke und macht neugierig, ich glaube, wir müssen dem Schwarzwald nochmel eine Chance geben.
    Antworten

    21.07.2023 um 17:51 Uhr von Gast:

    Sehr philosophisch
    Das gefällt mir sehr, dass Herr Waldenspuhl so ganzheitich und philosophisch über den Wald spricht. Viele schöne Gedanken.
    Antworten

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    Zur Person

    Iris Lemanczyk

    Bloggt im Auftrag der Nationalparkverwaltung aus dem Nationalpark Schwarzwald.

     

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