„Pilze können alles – sie haben immer eine Lösung parat“

03.11.2023 von Iris Lemanczyk, Nina Blazon in Kategorie : Blog
  • Wenn ich an Pilze denke, dann sind das Champignons, Steinpilze, Fliegenpilze. Vielleicht noch ein Schimmelpilz beim Käse. Wenn Flavius Popa über Pilze spricht, dann tut sich ein ganzes Reich auf. Denn Flavius ist Mykologe - Pilzexperte! Und Pilze bilden wirklich ein eigenes Reich. Sie sind weder Pflanzen noch Tiere.

    Wenn ich an Pilze denke, sehe ich die Fruchtkörper, die lecker schmecken oder giftig sind. Flavius dagegen denkt an unterirdische Pilzfäden (Hyphen), die sich im Boden ausbreiten, die auch in „Kommunikation“ mit Pflanzen treten. Er denkt an Artenvielfalt, ökologische Anpassungen, aber auch an nachhaltige Verpackungsmaterialien, die man mit bestimmten Pilzen herstellen kann. Oder an Vorfilter in Kläranlagen, bei denen die Pilze Medikamentenrückstände aus dem Klärwasser filtern, also an Schadstoff-Abbauer. Sogar an Materialien für Kleidung (veganes Leder), die aus Pilzen hergestellt werden können. Fleischersatz, Möbel, Fahrradhelme – all das kann in Zukunft aus Pilzen sein. „Pilze haben so viele Werkzeuge entwickelt, die wir bereits in unserem Alltag nutzen, beispielsweise Antibiotika, bieten aber auch ein enormes Potenzial für die Lösung zukünftiger Probleme“, sagt Flavius. Im Moment wird an Vielem geforscht.

     

    Über den eigenen Tellerrand schauen

    Natürlich nicht im Nationalpark. Aber Flavius Popa schaut gerne über den eigenen Tellerrand, weil ihn die Diversität der Pilze so fasziniert. Genau wie seine Arbeit, seit 2016 ist der 37-Jährige im Nationalpark. Seine Hauptaufgabe ist das Monitoring, also die Bestandsaufnahme, welche Pilze es gibt. Und was passiert, wenn man den Wald in Ruhe lässt. Pilze kümmern sich nämlich auch darum, Totholz zu zersetzen. Und die Nährstoffe dem Waldboden zurückzugeben. Circle of life.

     

    Unterirdisch passiert sogar noch weit mehr als oberirdisch. „Der Waldboden ist durchzogen von Fäden, den Hyphen“, erklärt Flavius Popa. Auf einen Quadratzentimeter Waldboden finden sich mehr als 1000 Meter Pilzfäden. „Treffen die Hyphen auf die feinen Wurzeln der Bäume, verbinden sie sich.“ Und gehen einen Handel ein. Die Pilze geben Wasser und Nährstoffe, etwa Stickstoff aus dem Boden an den Baum. Der wiederum gibt dem Pilz Zucker. „Eine Art win-win-Situation, denn die einen können nicht ohne den anderen leben. Mehr als 90 Prozent der Pflanzen leben in Symbiose mit Pilzen.“

    „Aus dem Monitoring ergeben sich tausend Fragestellungen“, meint Flavius. „Das Material, das ich sammle, muss ich bestimmen oder bestimmen lassen, die Daten anschließend verarbeiten. Ich habe etwa eine Art gefunden, die extrem selten ist. Beim Bestimmen hat sich herausgestellt, dass es mehrere Namen für den Pilz gibt, sie also mehrfach beschrieben wurde.“ Eine Pilzart zu bestimmen kann ein richtiges Abenteuer werden. Der Pilzexperte hat auch verschiedene Forschungskooperationen. Natürlich veröffentlicht Flavius auch – und er bietet Führungen an. „Manchmal kommen wir nur 50 Meter weit, weil es auf der kurzen Strecke schon so viel zu sehen gibt“, sagt er lachend.

    Auch wir gehen los. Flavius Popa hat eine Box für die Funde dabei. Ständig bückt er sich, um kleine oder größere Pilze in die Box zu legen, aber auch ein Ahornblatt und ein Tannenzapfen landen darin. Auf beiden tummeln sich Pilze. „Ich kann keinen Stock umdrehen, ohne Pilze zu sehen“, sagt er. Selbst das Harz der Bäume schaut er mit der Lupe an, denn es gibt auch Pilze, die Harz abbauen können.

    Flavius hat in Marburg Biologie studiert. Gleich in der ersten Mykologie-Vorlesung hat er Feuer für die Pilze gefangen. Seine Familie kommt aus Siebenbürgen, dort gingen sie zwar in die Pilze. Aber in Deutschland waren sie sich nicht sicher, ob die Pilze vielleicht anders sein könnten. Darum hielten sich die Popas mit Pilzesammeln zurück. Heute geht Flavius Popa mit seiner Frau und den zwei Söhnen gerne in die Pilze.

    Eine Pilz-Erfolgsgeschichte bietet die „Zitronengelbe Tramete“ im Nationalpark. Wo sie wächst müssen schon ziemlich urtümliche Bedingungen herrschen. Sie braucht nicht nur sehr viel totes Fichtenholz, sondern auch den „Rotrandigen Baumschwamm“ – eine weitere holzzersetzende Pilzart. Den Bannwald um den Wilden See gibt es als Schutzgebiet schon seit über 100 Jahren, viel länger als den Nationalpark. Just dort wurde die „Zitronengelbe Tramete“ das erste Mal in Baden-Württemberg entdeckt. Inzwischen ist sie auch in anderen Gebieten im Nationalpark nachgewiesen. Ich denke nun bei Pilzen an deutlich mehr als an Steinpilze und Pfifferlinge.

    Wer der Arbeit von Flavius Popa auf Instagram folgen möchte: @nationalparkschwarzwald (Story-Kategorie #artenmalanders), oder auf der Website des Nationalparks im Forschungsblog sowie unter der Kategorie "Art des Monats".

    6 Kommentare

    07.11.2023 um 21:43 Uhr von Michaela Girsch :

    Sehr spannend!
    Der Beitrag ist sehr interessant ich hatte noch nie von der Zitronengelben Tramete gehört. Und es ist immer wieder faszinierend, wie wichtig das passende Milieu für das Wachstum der Pilze ist. Vielen Dank dafür!
    Antworten

    08.11.2023 um 21:14 Uhr von Natalie Hüeber :

    Tolles Wissen!
    Bin gespannt was die Pilze der Zukunft uns noch bringen werden, so neben leckeren Risottos. Das klingt auf jeden Fall sehr vielversprechend, danke für die Insights, Flavius Popa und Iris Lemanczyk! Ich hatte keine Ahnung von Pilz Leder und Kläranlagen Pilzen. Toll, dass dazu geforscht wird, die Natur hat so viel schon perfekt konstruiert.
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    09.11.2023 um 18:31 Uhr von Gast:

    Zitronengelbe Tramete
    Sehr interessanter Bericht über ein sehr interessantes Forschungsgebiet eines anscheinend sehr interessanten Forschers. Dass ich demgegenüber ein blutiger Laie bin, merke ich daran, dass mir beim Lesen unwillkürlich das Wasser im Mund zusammenläuft. Herzlichen Dank für den tollen Bericht!
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    12.11.2023 um 12:50 Uhr von Gast:

    Hoffnungspilze
    Pilze als mögliche Problemlösung für unsere Umwelt? Wie wunderbar. Dein Bericht lässt hoffen, liebe Iris. Vielen Dank.
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    14.11.2023 um 18:48 Uhr von Gast:

    Faszinierend
    Ein super interessanter Beitrag. Man sieht, wie in der Natur alles mit allem zusammenhängt. Danke, dass Ihr mit Euren Beiträgen immer auch über den Tellerrand rausschaut und Allgemeinwissen vermittelt!
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    16.11.2023 um 18:37 Uhr von Isa Wolters:

    Ein Grund mehr für Nationalparkerweiterung
    Dem letzten Kommentar kann ich mich nur anschließen. Zudem spricht die sichtbare Zunahme der Artenvielfalt im bisherigen Nationalpark für eine Erweiterung der Fläche.
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    Iris Lemanczyk

    Bloggt im Auftrag der Nationalparkverwaltung aus dem Nationalpark Schwarzwald.

     

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