Ein Wimmelbuch für den Nationalpark

12.07.2022 von Anja Nolte in Kategorie : Blog
  • Es wimmelt im Nationalpark Schwarzwald – und zwar gewaltig. Im Schutzgebiet versammelt sich das Who is who der Tier-, Pilz- und Pflanzenwelt, auch wenn man es oft nicht sieht. Für Illustratorin Isabelle Göntgen war das einer der großen Augenöffner während ihrer Arbeit an einem ganz besonderen Buch: dem Nationalpark Schwarzwald Wimmelbuch, das Ende Juli 2022 erscheinen wird. Warum dieses Buch ganz sicher nicht nur etwas für Kinder ist und wie die wuseligen Bilder Schritt für Schritt entstanden sind, erzählt sie Bloggerin Anja im Interview.

    Frau Göntgen, Sie haben als Kinderbuch-Illustratorin schon zahlreiche Wimmelbuch-Ideen verwirklicht. Wie ist es konkret zu dem Projekt mit dem Nationalpark gekommen?

    Ich hatte früher schon die Kinderseite im Nationalpark Magazin für den Freundeskreis Nationalpark Schwarzwald e. V. gestaltet. Und als dann der Verlag regionalkultur die Idee eines Nationalpark Wimmelbuches hatte und sich an die Planung machte, hatten sie gleich mich im Sinn. Als die Anfrage bei mir landete, war für mich sofort klar: Das muss ich machen! Für mich als ehemalige Baiersbronnerin war mir das ein ganz persönliches Anliegen. Denn jemand anderes – zum Beispiel aus Hamburg oder so – hätte sicherlich nicht diese Verbundenheit zu dem Projekt gehabt wie ich.

    Sie sind in Baiersbronn aufgewachsen, heute leben Sie in Oberkirch – also immer noch sehr schwarzwaldnah. Was bedeutet Ihnen die Natur hier in der Region?

    Gerade der Nordschwarzwald ist für mich einfach Heimat. Ich gehöre noch zu der Generation, die als Kind oft draußen gespielt hat. Wir haben uns Lager im Wald gebaut und waren teilweise den ganzen Tag im Dickicht unterwegs. Unsere Eltern hatten eigentlich gar keine Ahnung, wo wir steckten. Das war echtes Abenteuer! Heute bin ich zwar nicht mehr wie Ronja Räubertochter unterwegs, aber genieße es trotzdem, in den Wald zu gehen. Das ist einfach Erholung. Die Wanderwege sind super ausgebaut, man verirrt sich nicht, kann einfach loslaufen und die Wege führen einen an die schönsten Stellen.

    Was soll das Nationalpark-Wimmelbuch aus Ihrer Sicht bewirken, welche Botschaft soll es vermitteln?

    In erster Linie wollen wir Kindern die Natur unterhaltsam näherbringen. Mit dem Buch halten sie zudem etwas in der Hand, das sie als Erinnerung an ihren Besuch im Nationalpark mit nach Hause nehmen können. Im weiteren Sinne geht es aber auch darum, zu demonstrieren, was für einen Nutzen dieser Nationalpark hat – zum Beispiel für den Tourismus, aber vor allem auch für die Natur. Dass es eben doch einen großen Unterschied macht, ob ein Wald bewirtschaftet oder sich selbst überlassen wird. Deshalb feiern wir jeden Schleimpilz und jedes Insekt, die man dort entdecken kann. Die Wildnis schafft Lebensräume und Freiräume für eine Artenvielfalt, die einfach faszinierend ist. Dieses Gefühl soll auch das Wimmelbuch vermitteln. Denn ein Projekt wie der Nationalpark braucht Fans – und ich bin definitiv einer.

    Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit am Nationalpark Wimmelbuch von Ihren anderen Projekten?

    Im Prinzip ist das Nationalpark Wimmelbuch ein krasses Naturbuch, was dieses Projekt für mich zu etwas ganz Besonderem macht. Ich wollte Tiere, Pflanzen und Pilze nicht als standardisierte Objekte zeichnen, sondern so, dass man die Arten genau erkennen und identifizieren kann. Es kommt also sehr stark auf die Details an – mehr als bei anderen Wimmelbüchern. Die Experten vom Nationalpark haben mir riesige Listen erstellt, wo welche Pilzarten vorkommen zum Beispiel. Oder wie welcher Käfer aussieht, wo er zu finden ist und so weiter. Vor allem die Pilze waren manchmal eine Herausforderung, weil sie selbst im Internet teilweise gar nicht so leicht zu finden sind. Da brauchte ich dann schon die tatkräftige Unterstützung von den Fachleuten im Nationalpark. Aber das ist auch der Grund, weshalb mir diese Arbeit so viel Spaß macht. Ich habe enorm tiefe Einblicke erhalten und viel Neues kennengelernt.

    Was ist für Sie persönlich der Reiz an Wimmelbildern?

    Ich mochte Wimmelbilder schon als Kind total gern und konnte mich tief in sie hineinversenken. Und heute spüre ich das auch beim Zeichnen. Es ist wie eine Philosophie. Ich muss dabei immer an Beppo Straßenkehrer aus Michael Endes Geschichte Momo denken, der erklärt: Wenn etwas als Ganzes betrachtet nach wahnsinnig viel aussieht, soll man sich nicht von der Masse einschüchtern lassen, sondern immer nur den kleinen Teil betrachten, den man gerade vor sich hat. Um den kümmert man sich zuerst und dann geht man an den nächsten kleinen Teil und immer so weiter. Genau so mache ich es auch beim Malen der Wimmelbilder.

    Was glauben Sie, finden Kinder wie Erwachsene an Wimmelbildern so faszinierend?

    Ich denke, es ist einfach die Neugier. Die Bilder sind immer aus einer hohen Perspektive dargestellt. Man selbst wird als beobachtende Person nicht gesehen, kann aber in die privatesten Situationen reingucken. Sei es bei dem einen, der hinter den Busch pinkelt oder bei jemand anderem, der gerade irgendwo Pause macht. Man ist wie ein Vogel, der alles sehen kann. Ich habe das Gefühl, es ist immer auch ein bisschen Schaulust mit im Spiel – aber in einer kindlichen, harmlosen Form.

    Weckt es vielleicht auch eine Art Entdeckerinstinkt in uns?

    Ja, genau. Das Nationalpark Wimmelbuch gestaltet sich einerseits wie ein Rätsel: Man kann sich richtig auf die Suche machen und schauen, was man dabei alles entdeckt. Gleichzeitig enthält es aber auch viele kleine Geschichten, weil sich die Charaktere von der ersten bis zur letzten Seite durchziehen und jede Figur etwas anderes erlebt. Oft bekomme ich sogar aus dem Bekanntenkreis Rückmeldung, dass sich Bekannte in meinen Wimmelbüchern wiedererkennen – auch wenn das von mir gar nicht beabsichtigt war. Aber es zeigt, wie vielschichtig so ein Buch sein kann und dass sich jeder mit seinen Stärken und Schwächen darin wiederfinden kann.

    Wie sind Sie in der Praxis an die Erschaffung der Motive rangegangen?

    Vor allem habe ich immer wieder Ausflüge an die Schauplätze meiner Motive gemacht, wo ich alles fotografiert habe, was mir vor die Linse kam. Auf dieser Basis erstelle ich die erste grobe Skizze. Wenn alle mit diesem groben Setting zufrieden sind, geht es schrittweise immer mehr in die Details: Es kommen feinere Striche dazu, es wird eine feinere Grobskizze angefertigt, bei der auch Menschen und weitere Gegenstände mit in die Szene eingebaut werden. Wenn dieser Aufbau so gefällt, geht es weiter mit der Outline-Zeichnung. Dabei zeichne ich alle Konturen so, wie sie endgültig im Buch aussehen werden. Und zum Schluss geht es an die Colorierung. Dann ist das Wimmelbild fertig.

    Wie lange brauchen Sie im Durchschnitt für eine Seite?

    Für eine Seite rechne ich grob mit einem Monat: eine Woche für die Skizze, eine Woche für die Outline, eine Woche für die Farbe und eine Woche als Puffer für das ganze Drumherum, was neben dem Malen noch anfällt. Allerdings arbeite ich parallel auch an vielen anderen Projekten, weshalb es oft viel länger dauert, bis eine Seite komplett fertig ist.

    Wie viele Seiten wird das Nationalpark Wimmelbuch haben?

    Insgesamt werden es sieben Motive auf sieben Doppelseiten sein. Die Geschichte beginnt auf der Seite mit einem Motiv vom Plättig am frühen Morgen, auf der nächsten Seite sind wir am Wilden See, dann tauchen wir ein in den Mikrokosmos auf einem liegenden Totholzstamm, auf Seite vier sehen wir das Nationalparkzentrum Ruhestein, dann folgen auf Seite fünf der Lotharpfad, die sechste Seite zeigt Allerheiligen, und zum Schluss auf Seite sieben sind wir dann abends am Schliffkopf angelangt.

    Hat sich durch Ihre Arbeit am Wimmelbuch Ihr Blick auf den Schwarzwald verändert?

    Vielleicht ein bisschen. Denn ich kannte mich auch vorher schon gut in Natursachen aus. Allerdings nicht in dieser Detailfülle wie jetzt. Außerdem war mir zwar klar, wie viel Freiraum und Lebensraum der Nationalpark im Vergleich zu einem Wirtschaftswald schafft, aber ich hätte es nie so im Detail benennen können. Ich habe enorm viel Insiderwissen dazugewonnen, was dem Nationalpark aus meiner Sicht noch mal ein großes Stück mehr an Bedeutung verleiht.

    Was waren für Sie die größten Aha-Momente während dieses Projekts?

    Ich muss zugeben, dass ich viele schöne Orte und Wege entdeckt habe, die ich vorher noch nicht kannte. Einer davon ist der Luchspfad, den ich mit meinem Sohn seitdem mehrmals im Jahr besuche, weil wir es dort so unglaublich schön finden. Es gibt aber noch eine wichtigere Erkenntnis, die ich für mich mitgenommen habe: Wie nah wir den Tieren im Nationalpark tatsächlich sind. Auch wenn wir sie nicht sehen, können sie doch nur wenige Meter vom Wegesrand entfernt sein. Ein Ranger hat mir zum Beispiel von Videoaufnahmen einer Wildkamera erzählt, auf denen ein Auerhuhn einen ruhigen Moment zwischen zwei Wandergruppen nutzt, um gefahrlos den Weg zu überqueren. Wolf, Luchs, Auerhahn und all die anderen Tiere des Nationalparks sind also tatsächlich ganz nah, man sieht sie eben nur nicht. Deshalb wird es sich lohnen, auch im Wimmelbuch ganz genau hinzuschauen.

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    Zur Person

    Anja Nolte

    Bloggt im Auftrag von Kresse & Discher für den Nationalpark Schwarzwald.


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