Herr Kratzer und das kleine Waldgespenst
Balzplatz, Schutzkonzept, Ökosystem, Spuren lesen, Auerhuhn. Schon nach wenigen Augenblicken merkt man, Raffael Kratzer brennt für seine Aufgabe. Und für den Lebensraum Wald. Und für das Auerhuhn.
Leoparden und Hyänen
Dabei hatte der Diplom-Forstwirt ganz andere Pläne. Eigentlich wollte er die Jagd- und Rinderfarm „Hazeldene“ seines Onkels in Namibia übernehmen.
Drei Jahre war er schon auf der Farm, die so groß ist, wie der gesamte Nationalpark. Drei Jahre, in denen er auch Wildtiermonitoring und Wildtiermanagement betrieb, aber halt mit Leoparden und Hyänen statt mit Auerhühnern und Hirschen.


Dann wurde in Namibia ein Gesetz erlassen, dass Ausländer nichts mehr im Land erben dürfen. Anwälte machten ihm wenig Hoffnung.
Raffael Kratzer musste seinen Lebensplan ändern. Als er eine Stellenanzeige des Nationalparks sah, beschloss er, sich zu bewerben, um im Deutschland wieder Fuß zu fassen. Monate später klingelte das Farmtelefon in Namibia. Im Nationalpark wurde jemand fürs Wildtiermanagement und Wildtiermonitoring gesucht. „Das war ähnlich wie das, was ich auf der Farm gemacht habe. Mit Wildtiererfassungen, Lebensraummanagement, Spurenlesen oder Fotofallen kannte ich mich aus. Ich war es gewohnt, selbständig zu arbeiten. Kurzum, ich bekam die Stelle und fing am 1. November 2015 im Schwarzwald an. Es hätte nicht besser kommen können“, erzählt der 42-Jährige.

Notfall-Plan Auerhuhn
Schnell ist Kratzer im Team des Auerhuhn-Monitoring, das er nun leitet und koordiniert. Schnell hat er erkannt, wie prekär die Lage der Auerhühner im Schwarzwald ist. Schnell wird unter seiner Federführung ein Notfallplan für den Nationalpark erarbeitet. „Den haben wir im Umweltministerium vorgestellt und dargestellt, dass es keine Zeit mehr für lange Diskussionen gibt. Wir müssen jetzt handeln.“
Vom Ministerium gibt es grünes Licht. Daraufhin beginnen sie, die Lebensräume der großen Hühnervögel zu verbessern: Die Balzplätze und Kükenaufzuchtgebiete werden beruhigt, die Besucherlenkung wird daraufhin abgestimmt, Freiflächen und lichte Wälder sollen erhalten werden. Kiefern, Lärchen, Tannen und Laubbäume, also wichtige Nahrungs- und Schlafbäume der Auerhühner sollen begünstigt werden.

„Wir müssen den Notfallplan konsequent umsetzen, wenn wir eine Stabilisierung im Nationalpark erreichen wollen. Das alles nützt dem Auerhuhn aber nur, wenn die Maßnahmen im gesamten Schwarzwald durchgeführt werden. Nicht nur im Nationalpark. Denn die Lebensräume müssen großflächig vernetzt werden“, sagt Kratzer.


Im Jahr 2022 wurden nur noch 97 balzende Hähne im Schwarzwald erfasst, 17 davon im Nationalpark. Der Förster geht ungefähr von derselben Zahl an Hennen aus. „Wenn wir nur den Nationalpark sehen, haben wir bald ein Inzucht-Problem.“ Ein erster, kleiner Lichtblick: „Dieses Jahr konnten 23 balzende Hähne im Nationalpark gezählt werden, das sind 6 mehr wie noch 2022!

Internationaler Austausch
Andere Gebiete in Europa haben ähnliche Probleme. Da sich Raffael Kratzers Kenntnisse in Fachkreisen rumgesprochen haben, wurde er im Februar nach Schottland eingeladen, um dort in Privatwäldern, Schutzgebieten und Staatsforsten die Lebensräume der Auerhühner zu begutachten und Verbesserungsvorschläge zu machen.


Im März war er zum fachlichen Austausch in der Niederlausitz. Dort sind die Auerhühner seit Ende der 90er komplett ausgestorben. Man versucht dort schwedische Auerhühner anzusiedeln. Dies steht den Kolleginnen und Kollegen aus den Vogesen, die ebenfalls bei dem Treffen dabei waren, auch noch bevor. Denn dort gibt es nur noch wenige Auerhühner. „Im Vergleich dazu haben wir im Schwarzwald im Moment noch die Möglichkeiten selbst einzugreifen, ohne die Population von außen zu verstärken“, meint Raffael Kratzer.
Faszination Auerhuhn
Um zu sagen, was ihn am Auerhuhn fasziniert, holt Familienvater Kratzer weit aus. „Ich bin am Rande von Tübingen aufgewachsen. In einem Landschaftsschutzgebiet direkt am Wald. Wir hatten unter anderem Schafe, Pfauen, Enten, Hühner, Hunde und vieles mehr. Wir haben in den Bächen Kröten und Salamander gesammelt, der Wald war unser Spielplatz.“ Vater und älterer Bruder sind Ornithologen. Dementsprechend wurden die Urlaube geplant: Seevögel beobachten an der Nordsee. Oder Löffler und Graugänse am Neusiedler See. „Neben der reinen Vogel- und Wildtierbeobachtung interessierten mich die Lebensräume und deren ökologischen Zusammenhänge. Vielleicht weil ich so viel im Wald war, fand ich diesen Lebensraum besonders spannend. In der Ornithologie faszinieren mich die Waldvögel, etwa Spechte und Auerhühner. Auerhühner sind imposante Vögel mit einer heimlichen Lebensweise. Wie ein kleines Waldgespenst ist der Auerhahn zwar da, aber man sieht ihn kaum. Man muss die Fährten erkennen und Spuren lesen.

Der Vogel zieht über Winter nicht in den Süden, er passt sich deshalb bestens an die härtesten winterlichen Bedingungen an. Außerdem sind Auerhahnwälder sehr besonders. Meistens sind es alte, lichte, vermooste Wälder, so märchenwaldartig. Das Gesamtkonstrukt macht die Magie aus“, fügt der Forstwissenschaftler hinzu. Und lachend meint er: „Beim Auerhuhn, da sprudelt es nur so aus mir raus. Da kann ich ewig erzählen.“

Hazeldene
Und auch bei Namibia und der Farm sprudelt es nur so. Die Freiheit im Tun, dort im Südwesten Afrikas, die reizt Kratzer nach wie vor. Fast wöchentlich hält er Kontakt zu seinem Onkel, so oft es geht, besucht er die Farm. Aber eine Zukunft auf „Hazeldene“ ist auf absehbare Zeit nicht möglich. „Zum Glück macht mir die Arbeit im Nationalpark auch viel Freude und ist meine Passion. Wildtiermanagement mache ich auch hier, halt mit anderen Tieren.“
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Zur Person

Iris Lemanczyk
Bloggt im Auftrag der Nationalparkverwaltung aus dem Nationalpark Schwarzwald.
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4 Kommentare
27.09.2023 um 15:39 Uhr von Gast:
30.09.2023 um 13:35 Uhr von Joachim Andres :
04.10.2023 um 12:45 Uhr von Michaela Girsch:
08.11.2023 um 21:07 Uhr von Natalie Hüeber :