Mit allen Sinnen – ein Selbstversuch
Es geht steil bergauf, wir klettern über umgefallene Baumstämme, streifen Heidelbeerbüsche. Fotografin Nina und ich schnaufen. Normalerweise gehen wir bei Veranstaltungen des Nationalparks mit, beobachten, Nina fotografiert, ich schreibe darüber. Nun hat uns Ulrike Unser vom Team „Wildnisbildung“ angeboten, den Wald mit allen Sinnen zu erleben. Also Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken, Tasten. So, wie sie es sonst mit Schulklassen macht.
Ulrike, alle nennen sie Uli, ist Bio- und Erdkundelehrerin am Gymnasium in Achern. Aber zwei Tage die Woche ist sie als Wildnis-Pädagogin im Nationalpark abgeordnet. „Ich ermögliche Kindern, eigene Erfahrungen in und mit der Natur zu machen“, sagt sie strahlend und fest auf beiden Füßen stehend. Nina und ich dürfen in die Rolle der Kids schlüpfen. Als Erstes erfahren wir, wer heute der Gastgeber ist: der Wald, die Natur. Denn wir sind hier zu Gast im wilden Wald.
Wahrscheinlich sind die Kids deutlich schneller den Berg oben als wir. Zum Einstimmen gehen wir in die Hocke, schließen die Augen und hören, was der Wald uns zu sagen hat. Mit geschlossenen Augen höre ich das Vogelgezwitscher viel intensiver als zuvor, selbst eine Mücke ist zu hören, genauso der Wind, der durch die Baumwipfel streift. Wir sind konzentriert, aufmerksam und kommen zur Ruhe.
Weiter geht’s über Stock und Stein, bis wir inmitten von umgestürzten Bäumen auf dem schmalen Pfad halten. Nina führt mich jetzt mit verbundenen Augen. Ich habe schon öfters darüber geschrieben, aber jetzt spüre ich meine Unsicherheit, spüre, wie ich komplett auf Ninas Ansagen angewiesen bin. „Mit dem rechten Fuß einen großen, hohen Schritt machen, dann bist du über dem Stein. Mit dem linken nachziehen.“ Ich vertraue Nina, anders würde es nicht funktionieren.
Dann gibt’s für uns eine Lupe, um den Mikrokosmos um uns herum zu entdecken. Moose, Flechten, ein Spinnennetz, eine Wichtelwelt voller Formen und Farben. Eine Welt vor unseren Augen, die wir sonst kaum wahrnehmen.
„Wer wohnt im Nationalpark und kann auf 1500 Meter eine Maus erkennen?“ Uli verbindet die einzelnen Sinne mit der Fauna vor Ort. „Er könnte aus 30 Meter Entfernung ein Buch lesen.“ Es ist der Wanderfalke, dessen Leitsinn das Sehen ist. So wie bei den meisten von uns.
Weiter geht’s mit den Sinnen in der Tierwelt: Wer kann Käfer laufen hören? Die Fledermaus und die Eule. Eigentlich war ich der Meinung, ich hätte ein super Gehör… bis ich gegen Uli „Hör-Memory“ gespielt habe. In blickdichten Döschen liegen Reis, Mais, Grieß, Zucker oder Sand. Durch Schütteln und Hören sollen wir die Döschen finden, die dasselbe enthalten. Mit null Treffern versage ich kläglich.
Querfeldein, uns einen Weg durch die umgestürzten Bäume suchend, gelangen wir bergab. Dabei überlegen wir uns, welches Tier sein Essen testet, bevor es isst: Der Hase mit seinem hervorragenden Geschmacks- und Geruchssinn. Wir dürfen ein Stück Schokolade schmecken. Ganz kleine Stückchen bewegen wir im Mundraum, das Schoko-Aroma wird intensiv, breitet sich aus. Wir lassen uns Zeit mit dem Stück Schokolade – ich habe noch nie intensiver Schokolade geschmeckt.
Fehlt noch Fühlen oder Tasten. Wieder werden mir die Augen verbunden. Nina führt mich zu einem Baum, dessen Wurzeln, seine Rinde und abgebrochenen Zweige ich ertaste. Dann werde ich zum Ausgangspunkt geführt, mehrmals im Kreis gedreht und muss dann herausfinden, bei welchem der Bäume ich war. Sowohl Nina als auch ich finden den richtigen Baum auf Anhieb.
Noch ein letzter Sinn: Riechen. Welches Tier riecht bis zu tausend Mal besser als der Mensch? Der Wolf. Wir versuchen, es ihm nachzutun und sollen mit verbundenen Augen Düfte erschnuppern. Lavendel ist einfach, Minze und Basilikum auch, sogar Tannensamen erraten wir. Aber auf Zitronenmelisse bin ich nicht gekommen. Dabei gedeiht Zitronenmelisse bei mir aufm Balkon.
Für Nina war am Ende nicht die Sache mit den Sinnen am eindrücklichsten, sondern sich den Hang hinunter selbst einen Weg zu suchen. Ich dagegen war von den Übungen mit verbundenen Augen sehr beeindruckt. Denn die funktionieren nur, wenn man der Führenden voll und ganz vertraut.
Einig sind wir uns, dass uns das als Kinder wahnsinnig viel Spaß gemacht hätte. „Eure Augen strahlen wie bei den Kindern“, meint Uli. „Das ist für mich das Schönste an meiner Arbeit.“
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Zur Person
Iris Lemanczyk
Bloggt im Auftrag der Nationalparkverwaltung aus dem Nationalpark Schwarzwald.
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