Neulich bei der wilden Bande: Lotta trifft die Großvatertanne

08.11.2024 von M.Sc. Ulrike Unser in Kategorie : WibiDigi
  • An einem wunderbar sonnigen Tag hüpft Lotta pfeifend durch den wilden Wald und freut sich der Dinge. Doch hoppla, zack! Plötzlich stolpert sie:

     „Autsch! Wer ist da?“

    „Oh entschuldige bitte, liebe Großvatertanne, ich hatte ganz vergessen, dass du hier überall deine Wurzeln schlägst. Ich bin es, die Lotta von der wilden Bande!“

    „Wer?“

    „Karlotta, die Gartenschläferin - von unten am Wilden See. Ich wohne dort querfeldein auf der großen Tanne links beim Todholzbaum, Bannwaldweg Nr. 13. Das ist die Baum-WG mit Sev, der Kreuzotter, Tilly der Sperlingskäuzin, und Ferdinand von Widderbock.“

    „Ach so, die Lotta. Sag das doch gleich. Ich habe Otter verstanden. Die gibt es hier nicht, zumindest ist mir nichts davon bekannt. Und ich steh hier ja schon ziemlich lange – fast 250 Jahre. Da ist schon so mancher Waldbewohner an mir vorbeispaziert. Kann aber auch sein, dass ich das schon wieder vergessen habe. Das passiert mir in letzter Zeit nämlich öfter.“

    „Wie? Dass du was vergisst, oder falsch verstehst?“

     „Nee - falsch stehen? Vergessen meinte ich. Ich stehe hier schon richtig. Zum Glück dachten das auch die Holzfäller, die fast den gesamten wilden Wald abholzten vor etwa 170 Jahren. Stämme für Bahngleise, Schwarzwaldhäuser, Holz zur Glasherstellung und noch mehr brauchten sie. So viele, dass fast alle Bäume des wilden Waldes das nicht überlebten. Sie kamen mit ihren Pferden und Wägen, hackten und hobelten: Wochenlang splitternde Stämme und das Wiehern der Lastpferde. Baum für Baum krachte an meiner Seite zusammen. Mich gruselt es noch immer, wenn ich an diese Geräusche und den Holzhunger der Waldarbeiter denke."

    „Uff - krass! Da hast du ja mächtig Glück gehabt. Das hätte ins Auge gehen können!"

    „Gehen? Lotta! Ich kann doch nicht davonlaufen – ich bin ein Baum! Alles, was ich konnte, war den Rücken durchdrücken, die Wurzeln in den Boden treiben und dem Sturm standhalten. Und glaub mir - weitere Stürme kamen. Es gab viele, heftige, mit starken Regenfällen. Sie wüteten und peitschten mein Geäst. Denn kaum ein so großer Baum wie ich, stand mehr um mich herum. Keiner war mehr da, der mich schützte! Rinnsale wurden schnell zu Bächen, die den Hang hinunterliefen und alles mitnahmen, was sie den kahlen Berghängen noch entreißen konnten. Kein junger Trieb konnte mehr Wurzeln fassen, bevor er schon wieder seinem Schicksal entgegen strömte. Wenn das so weitergegangen wäre, gäbe es sicherlich heute keinen wilden Wald um uns herum.“

    „Wer hat uns denn gerettet?“

    „Das waren zum Glück auch die Menschen! Ein paar wenige gab es, die verstanden, dass sie uns übrigen Bäumen helfen mussten. Das die Natur nur im Gleichgewicht bleiben kann, wenn man ihr genauso auch gibt, wie man ihr entnimmt. Sie pflanzten Fichten an. Die wuchsen schnell im wilden Wald. Bis heute haben sie sich kräftig vermehrt und gehalten.“

    „Doch geht es ihnen immer noch nicht wirklich gut. Oft höre sie jammern in den Wipfeln und klagen!“

    „Oh ja, doch nun ist es das Klima, das ihnen zu schaffen macht. Ihre Wurzeln reichen nicht so tief in die Erde, wie die meinen. Regnet es wenig, vor allem in den sehr heißen Sommern, sind sie durstig. Ihre Nadeln werden gelb, ihr Harz dickflüssig ohne genügend Wasser. Pilze, Borkenkäfer und Insektenlarven lassen sich nicht mehr so gut vertreiben. Sie kränkeln daher oft. Kommt dann noch ein kalter Winter mit viel Schnee, lastet dieser schwer auf den Wipfeln. Viele brechen ab und schädigen den ganzen Baum. Ich habe es da etwas besser mit meinen tiefreichenden Wurzeln!“

    „Da sage ich doch mal - Schwein gehabt - als Tanne!“

     „Oh, ein Schwein hatte ich noch nie! Obwohl ab und zu weidete damals auch Gutfried neben mir mit seiner Sippe. Er stammte vom Schwarzwaldhof in Hundsbach. Der dortige Bauer trieb immer seine Tiere hierher zum Fressen in den Wald. Waldweide sagt man dazu wohl auch.

    Aber nicht so lange. Der Wald wurde bald wieder dunkler. So wurde er auch wieder seinem Namen gerecht: „silva nigra“. Das kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Schwarzwald. Dadurch kamen auch wieder zunehmend mehr Tiere zurück wie Rehe, Hirsche, Hasen und Füchse."

    "Und weißt du, wen ich vor kurzem zum ersten Mal seit langer Zeit gesehen habe? Ludger, einen Wolf! Niemals dachte ich, werde ich noch einmal einen zu Gesicht bekommen. Mich macht das glücklich! Immer wilder scheint der Wald um mich herum zu werden - fast wie früher."

    "Auf meinen Zweigen sitzen Sperlingskäuze, Eichhörnchen bauen Kobel in den Ästen und rings um mich herum wachsen die buntesten Pilze. Es wimmelt wieder von Käfern, Spinnen, Ameisen und Insektenlarven. Im Sommer tanzen die Schmetterlinge, und Bienen brummen und summen um die Wette. Ab und zu kommen noch Wanderer vorbei. Doch die ritzen nicht wie früher in meine Baumrinde und verletzen mich. Eher staunen sie mit großen Augen, machen Fotos und freuen sich an meinen ausladenden Zweigen und Wipfeln. Es hat sich verändert seit ein paar Jahren. Es ist schön geworden, hier zu stehen. Weißt du vielleicht, was da geschehen ist, liebe Lotta?“

    „Ha! Also liebe Großvatertanne – aber das weiß doch jedes Kind!"

     

    Und so erzählte Lotta der Großvatertanne die Geschichte das Nationalparks Schwarzwald…

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